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Ohne den Brülleffekt

Der Wurschtigste, der Klügste, der Höflichste: Nachruf auf F. W. Bernstein

  • Klaus Bittermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Seine bekanntesten Verse sind mittlerweile in den Sprachschatz der Deutschen eingegangen: »Die schärfsten Kritiker der Elche / Waren früher selber welche.« Sie wurden Zeit seines Lebens meistens seinem Kollegen Robert Gernhardt oder anderen zugeordnet. Das war symptomatisch für das Leben des zurückhaltenden, höflichen, sich nie vordrängelnden Dichters und Zeichners Fritz Weigle, der besser bekannt war unter seinem Nom de Plume F. W. Bernstein.

Und auch die Episode, die Harry Rowohlt immer wieder gerne erzählte, passt ganz gut zu Bernstein, denn sie beleuchtet seinen hintergründigen, ja dezenten Witz, der nicht auf einen Brülleffekt hin ausgerichtet war: Gernhardt habe sich eines Tages darüber beschwert, dass er (Gernhardt) ihn (Bernstein) ständig erwähne, er (Bernstein) ihn (Gernhardt) jedoch nie, worauf Bernstein erwiderte, er (Gernhardt) solle doch sein (Bernsteins) Opus Magnum abwarten, »Der Erwähnte«.

Der 1938 geborene Fritz Weigle studierte an der Stuttgarter Kunstakademie, wo er Robert Gernhardt kennenlernte. Bald schon gingen die beiden nach Westberlin, wo er an der Hochschule der Künste seinen Abschluss machte. 1966 begann er seine pädagogische Karriere als Kunsterzieher an verschiedenen Schulen, bis er in Berlin an seiner alten Ausbildungsstätte 1984 bis zu seiner Emeritierung 1999 Professor für Karikatur und Bildgeschichte war. Mitte der 60er Jahre war er Mitbegründer einer Gruppe, die unter dem Namen »Neue Frankfurter Schule« Satiregeschichte schreiben sollte. Seine Mitstreiter waren der erwähnte Robert Gernhardt, Eckhard Henscheid, F. K. Waechter, Chlodwig Poth, Bernd Eilert, Peter Knorr und Hans Traxler, die fast alle berühmter und erfolgreicher wurden als F. W. Bernstein, dessen flüchtiger Antikunst-Stil beim großen Publikum nie markttauglich war.

Es muss auch erwähnt werden, dass er in den frühen Sechzigern das damals tonangebende Satiremagazin »Pardon« mitgestaltete. Er war an dem legendären Büchlein »Die Wahrheit über Arnold Hau« (1966) beteiligt und machte zusammen mit Robert Gernhardt und Friedrich Karl Waechter in »Pardon« ein eigenes Satiremagazin: »WimS - Welt im Spiegel«.

Bernstein hat von diesem frühen Ruhm nie sonderlich viel abbekommen, dennoch blieb er selbst als großer Außenseiter der Altmeister der Karikatur, ein genialer Kritzler, als Mal-so-eben-schnell-nebenbei-Hintuscher der »König der Zeichner« und der Künstler, über den Bernd Rauschenbach einmal sagte: »Er ist der abwechslungsreichste, experimentierfreudigste, detailversessenste, wurschtigste, klügste, farbempfindsamste, rücksichtsloseste, höflichste, gewaltsamste, produktivste, innovativste, traditionsbewussteste, bescheidenste, realistischste, literarischste, nuancenreichste, musikalischste, schwungvollste, überraschendste, wagemutigste Zeichner, den ich kenne.«

Und so ist es. Das mit dem »Gewaltsamsten« wäre schon interessant gewesen. Eine bislang verkannte Seite von F. W. Bernstein? Bernstein als Terminator unter den Zeichnern? Rauschenbach hat allerdings einen Superlativ vergessen: F. W. Bernstein war einer der Unterschätztesten, denn zweifellos hat er sich auf dem Gebiet des Zeichnens, Malens, des Dichtens und des Humors mehr Meriten erworben als andere Künstler, die mit irgendwelchen kitschigen Großplastiken Millionen verdienen. Aber ein Vergleich mit solchen Leuten verbietet sich auf der Stelle, denn das Gewese und Getue, eitle Gespreize und aufgeregte Schnattern lag F. W. Bernstein immer fern.

Bernstein hat eine kaum mehr zählbare Menge von eigenen Ausstellungen und Büchern gemacht, er hat Beiträge zu anderen Büchern geliefert, in Zeitschriften geschrieben und gemalt, er hat vorgelesen, wurde mit Preisen geehrt, und keiner hat es wohl mehr verdient als er, der auch seine umfangreiche Korrespondenz auf Postkarten stets mit einem Gruß, einem Gedicht und einer Zeichnung versah - allesamt Originale, die er verschwenderisch an seine Freunde zu verschicken pflegte und die für sich genommen allein schon ein Opus Magnum ergeben würden.

Nach einer langen Krankheit ist F. W. Bernstein am Donnerstag verstorben. Er wurde 80 Jahre alt.

Wir sollten uns sein Vermächtnis zu Herzen nehmen, das er in seinem Gedicht »Lest, Verdammte dieser Erde« formulierte:

»Lest Gedichte, lest, ich werde

Euch gleich sang wozu.

Weil wir Dichter wie die Sterne

lärmen, reimen wir so gerne

gehm wir keine Ruh

Dubidubiduuu.«

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