Hauchdünne Mehrheit möglich

Israels Regierungskoalition zeigt sich vor den Wahlen im Frühjahr in wichtigen Punkten uneins

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Ende war es ein alter Dauerbrenner, der das Schicksal der Koalition aus konservativen, rechten und ultraorthodoxen Parteien in Israel offiziell besiegelte: Bis Mitte Januar hätte die Koalition die Wehrpflicht für ultraorthodoxe Juden neu regeln müssen. So wollte es der Oberste Gerichtshof, der im September 2017 ein 2015 verabschiedetes Gesetz kassiert hatte, mit dem Studenten in Jeschiwoth (Religionsschulen) weitestgehend vom Wehrdienst freigestellt wurden.

Damals hatten die beiden religiösen Parteien Schas und Vereinter Torah-Judaismus (UTJ) ihren Eintritt in die Koalition davon abhängig gemacht, dass die Wehrdienstfrage im Sinne ihrer Wählerschaft geregelt wird. Nun knüpften sie ihren Verbleib in der Regierung an die Forderung, dass alles so bleibt wie es ist. Denn den Umfragen zufolge besteht zumindest die Chance, dass eine oder beide der Parteien bei den nächsten Wahlen, die regulär im November 2019 im Terminkalender standen, an der 3,25-Prozent-Hürde scheitern könnte. Viele ultraorthodoxe Juden lehnen den Staat Israel und seine Institutionen aus religiösen Gründen zwar ab, dennoch wählen sie eine der beiden ultraorthodoxen Parteien, um eine Interessenvertretung im Parlament zu haben. Wie sich in der Vergangenheit immer wieder zeigte, bleiben sie aber zu Hause, wenn die Parteien diese Interessen nicht vertreten. Hinzu kommt, dass seit 1992 die Wahlhürde in mehreren Schritten von ursprünglich einem Prozent auf 3,25 Prozent vor den Wahlen 2015 herauf gesetzt wurde. Für kleine Parteien ist es damit sehr viel schwerer geworden, überhaupt ins Parlament einzuziehen.

Das gefährdet nun auch den Machterhalt von Regierungschef Benjamin Netanjahu, der seit 2009 im Amt ist, aber zusammen mit seinem rechtskonservativen Likud nie ein wirklich beeindruckendes Wahlergebnis erzielte. 23,4 Prozent waren es 2015 gewesen, dies stellte auch den Bestwert unter seiner Führung dar. Die Umfragen sind sich einig, dass es auch bei den nächsten Wahlen nicht mehr werden dürften, zumal Netanjahu im Mittelpunkt gleich mehrerer Korruptionsermittlungen steht. Die Polizei empfahl in einigen Punkten bereits Anklagen. Mit der endgültigen Entscheidung von Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit wird in den kommenden Tagen gerechnet. Dabei wird allgemein davon ausgegangen, dass es zumindest in einigen Punkten zu Anklagen kommen wird. Ob Mandelblit nun aber mitten im Wahlkampf eine Entscheidung verkünden oder bis nach den Wahlen warten wird, ist jedoch derzeit völlig unklar: Schon seit Langem wirft Netanjahu Polizei und Staatsanwaltschaft vor, einen »Putsch gegen die Regierung« zu versuchen. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass sein Team eine Anklage mitten im Wahlkampf als politisch motiviert darstellen würden. Auf der anderen Seite würde die Anklageerhebung nach den Wahlen zu Monaten des politischen Stillstandes führen, denn ob ein Regierungschef unter Anklage sein Amt weiter ausüben darf, ist umstritten.

Derzeit sagen die Umfragen durchweg erneut eine hauchdünne Mehrheit für die derzeitige Koalition voraus. Bereits wenige Tausend Wählerstimmen können diese Mehrheit zunichte machen. Vor allem aber ist ungewiss, ob sich die Parteien auch zu einer Koalition unter Netanjahu bereit finden werden. Vor allem die recht neue Partei Kulanu gibt sich abwartend. Ihr Chef Mosche Kachlon, zur Zeit Finanzminister, war mit dem Versprechen günstigerer Lebenshaltungskosten angetreten. Aber die Partei konnte nicht das durchsetzen, was sie versprochen hatte. Die einzige Partei, die sich bislang zu einer Koalition mit dem Likud bekannt hat, ist »Jüdisches Heim« unter Führung von Naftali Bennett. Die Partei steht der Siedlerbewegung nahe. Der Likud müsste also massiv zulegen, oder aber an Stelle einer Koalition mit den Rechten eine Vereinbarung mit der sozialdemokratisch geprägten Zionistischen Union und der zentristischen Zukunftspartei anstreben. Dies ist aber ein recht unwahrscheinliches Szenario.

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