Feiertage, Fressen, Feminismus

Caren Miesenberger sagt dem nachweihnachtlichen Bodyshaming den Kampf an

  • Caren Miesenberger
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Feiertage sind vorüber, das Festmahl ist überstanden. Für die meisten, die nicht arbeiten mussten und christlich sozialisiert sind, heißt Weihnachten drei Tage lang durchfressen. Kartoffelsalat mit Würstchen, Raclette mit doppelt Käse im Pfännchen, zwischendurch Vanillekipferl und Kaffee, abends Feuerzangenbowle in den Schlund hineinkippen.

Eines ist dabei so klar wie das Amen in der Kirche: Das eigene Essverhalten bleibt nicht unkommentiert. Der dicke Onkel faltet die Hände über dem ordentlich gesättigten Bauch, aber kritisiert, dass irgendwer ja so dick geworden sei. Die spargeltarzandünne Tante mahnt, dass sie im neuen Jahr unbedingt mehr Sport machen müsse, obwohl die Feiertage für alle, die unvergütet den Haushalt schmeißen, zu den arbeits- und bewegungsintensivsten des Jahres zählen. Abnehmen, so findet sie, muss sie trotzdem.

Statt sich dem hedonistischen Völlegefühl hinzugeben winkt auch in den harmonischsten Familien irgendwann die Realitätsklatsche - und zwar nicht nur die realpolitische, sondern auch die körpernormierende. Bevorzugt, wenn man sich auf dem Sofa fläzend mit allerletzter Kraft gerade über den vollgefressenen Bauch reibt.

Es nervt! Alle Körper sind perfekt und essen ist geil. Weshalb sollen wir uns also mäßigen, wenn wir genug zum Futtern und Appetit haben? Die brunftige Neandertalerin in mir will schließlich für schlechte Zeiten vorsorgen und das Bauchfett ansammeln. Alle sollen soviel essen dürfen, wie sie Lust haben. Nicht nur über die Feiertage kann ich mir den Magen vollstopfen, wie es mir beliebt. Das sollte ein universales Credo sein. Denn Körper brauchen Ernährung, um zu funktionieren. Und außerdem macht Essen Spaß. Genuss ist Teil des Lebens.

Aber obacht! Nach der Fressparty schleicht sich das schlechte Gewissen ein wie der fiese Kater nach einer Partynacht. Laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung empfindet sich fast die Hälfte der Mädchen im Alter von 15 Jahren als zu dick, obwohl sie Normalgewicht haben. Bei den Jungen ist es jeder Fünfte. Fast die Hälfte der Mädchen hat in diesem Alter bereits Diäten gemacht. Dieser Habitus hört auch mit dem Wissen über die gesellschaftlichen Unterdrückungsmechanismen, die ihn ermöglichen, nicht auf. Sprich: Auch bei Feministinnen ist das Essverhalten nicht frei von Schuldgefühlen - und ihnen soll dafür keine Schuld zugeschoben werden. Allein: Man kann sie nicht einfach abstreifen wie die zu eng gewordenen Jeans. Praktischerweise kann man sich in diesem Fall direkt ein neues paar Hosen von am Heiligabend geschenkten Klamottengutscheinen kaufen.

Nach Weihnachten erscheint noch ein weiteres alljährliches Unheil des Jahresend-Bodyshamings: Gute Vorsätze. Ich werde nach Silvester mehr Sport machen. Mich im Fitnessstudio anmelden. Mindestens zwei Mal in der Woche hingehen. 10,6 Millionen Menschen sind in Fitnessstudios angemeldet, eine Rekordzahl. Damit ist »Pumpen« noch vor Fußball der beliebteste Sport der Deutschen.

Eine Frage an Sie, liebe Leser*innen: Wenn Sie Mitglied in einem Fitnessstudio sind, wann waren Sie das letzte Mal da? Auch ich bin bereits in die Fitnessfalle getappt und habe ein Jahr lang jeden Monat 20 Euro an eine Muckibude überwiesen, die ich nur zweimal betrat. Das Geld wäre woanders gut aufgehoben gewesen. Scheißt auf die Vorsätze! Wir sollten alle lieber mal öfter ausschlafen, uns vom Selbstoptimierungszwang befreien und so viel essen, wie wir wollen. Sport nur, wenn man Bock hat. Für weniger Bodyshaming und mehr Zufriedenheit und Glück. Weil wir es uns wert sind.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Dazu passende Podcast-Folgen:

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal