nd-aktuell.de / 02.01.2019 / Politik / Seite 6

Rumäniens Scheindemokratie

Die Regierung predigt europäische Werte, doch davon ist zu Hause nichts zu spüren

Joachim Pranzl, Wien

Es ist eine ebenso umfangreiche wie vage Agenda, die sich die rumänische Regierung in den kommenden sechs Monaten ihres EU-Ratsvorsitzes vorgenommen hat: Von der Kohäsion und Konvergenz Europas ist die Rede, von Sicherheit und einer global agierenden EU sowie von einem Europa der gemeinsamen Werte.

Dabei tritt die rumänische Regierung die europäischen Werte daheim mit Füßen. Die rumänische Sozialdemokratie (PSD), die mit sozialdemokratischer Tradition wenig zu tun hat und das Land seit 1989 in direkter Nachfolge der kommunistischen Eliten prägt, regiert seit Ende 2016 wieder. Unter dem langjährigen Parteifunktionär Liviu Dragnea gelang beinahe die absolute Mehrheit - auch aufgrund der Schwäche der Opposition sowie der äußerst geringen Wahlbeteiligung. Solange diese bei Parlamentswahlen unter 50 Prozent liegt, gelingt es der PSD durch populistische Wahlversprechen, Massenmedienkontrolle und einer klientelistischen Lokalpolitik, ihre Stammwähler*Innen auf dem Land und in der städtischen Peripherie zu mobilisieren. Gleichzeitig fehlen den Menschen vertrauenswürdige Alternativen, ein generelles Misstrauen in die Politik ist omnipräsent. Die Präsidentschaftswahlen zeigen, sobald die Beteiligung steigt, profitieren die anderen Parteien. Das demokratiepolitische Resultat ist verheerend: Bei der letzten Wahl genügten rund drei Millionen Stimmen für eine Parlamentsmehrheit - und das bei circa 18 Millionen Wahlberechtigten.

Wahlversprechen wie höhere Löhne und Pensionen sprechen viele Bürger*Innen in Rumänien an, da die soziale Ungleichheit sowie die Unterfinanzierung vieler Bereiche wie Bildung oder Gesundheit besonders eklatant sind. Trotz boomender städtischer Zentren sind viele Menschen von Armut betroffen und die politische Elite zeigt wenig Interesse an tatsächlicher sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Dies offenbart sich auch im Umgang mit Minderheiten, zum Beispiel im Alltagsrassismus gegenüber Roma oder wie zuletzt an einem homophoben Referendum.

Doch nun hat Dragnea ein großes Problem: Aufgrund einer Verurteilung wegen Wahlbetrugs darf der Vorsitzende der PSD nicht selbst Premierminister werden. Nach neuen Vorwürfen, darunter Korruption und Machtmissbrauch, steht er aktuell sogar wieder vor Gericht. Aus Angst vor dem Gefängnis führt er deshalb einen Frontalangriff auf die Antikorruptionsbehörde und die Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere gegen die erfolgreich agierende Generalstaatsanwältin Laura Kövesi. Dragneas umstrittene Justizreform, die ihm den Gang ins Gefängnis ersparen könnte, wurde Anfang 2017 durch die größten Proteste des Landes seit 1989 verhindert. Dennoch konnte er 2018 die Absetzung von Kövesi sowie die politische Neubesetzung diverser juristischer Posten erzwingen.

Ähnliches offenbart sich bei seinem Umgang mit der Zivilgesellschaft und der parlamentarischen Opposition. Hatte sich die urbane Protestkultur seit 2012 zum wichtigsten demokratischen Korrektiv entwickelt, zeigen die Proteste Anfang 2017, dass die politische Elite inzwischen den Umgang mit Massenprotesten gelernt hat und die Polizei wieder autoritärer gegen Demonstrierende vorgeht. Dies offenbarte sich auch bei den sogenannten Diaspora-Protesten im August 2018.

Zuletzt gab es nicht nur ein Misstrauensvotum innerhalb der Partei gegen Dragnea, sondern auch im Parlament gegen die Regierung, welcher derzeit - nach mehreren Versuchen, eine loyale Person zu finden - Viorica Dăncilă vorsteht. Beides konnte Dragnea dank einer starken Kontrolle und seiner etablierten Abhängigkeitspolitik gegenüber Parteikolleg*Innen abwehren. Dabei werden aber seine autoritären Praktiken immer sichtbarer. Nach der zuletzt sehr deutlichen Kritik von EU-Parlament und Kommission setzt Dragnea immer stärker auf eine national-populistische und Anti-EU-Rhetorik. Kritik diffamiert die Regierung zunehmend als »Soros«-finanzierte ausländische Einflussnahme, eine Entwicklung, die in diesem Ausmaß vor 2017 in Rumänien nicht beobachtet werden konnte.

Alles in allem keine positiven Aussichten, weder für Rumänien noch für die EU. Während in der EU Themen wie der Brexit und die anstehenden Parlamentswahlen dominieren dürften, wird Rumänien im kommenden Halbjahr weiterhin mit innenpolitischen Machtkämpfen beschäftigt sein: Dragnea gegen Teile seiner eigenen Partei, Präsident Johannis, Justiz und Zivilgesellschaft. Ein erneuter Versuch, die umstrittene Justizreform durchzubringen, soll anstehen. Die kommenden sechs Monate bieten aber auch der europäischen Öffentlichkeit die Möglichkeit, einen noch kritischeren Blick auf Rumänien zu werfen und den Druck gegebenenfalls zu erhöhen.