Gekommen, um zu bleiben

Mehrere von Verdrängung bedrohte Kollektive in Berlin leisten Widerstand und verweigern die Übergabe ihrer Räume.

  • Maria Jordan und Marie Frank
  • Lesedauer: 4 Min.

Aus den Boxen eines gemieteten Umzugswagens schallt laute Punkmusik, gleich spielen noch ein paar Bands. Etwa hundert Menschen haben sich vor der Potsdamer Straße 180 in Berlin-Schöneberg versammelt, um gegen die Verdrängung der beiden ältesten selbstverwalteten Jugendclubs Berlins, Potse und Drugstore, zu protestieren. »Wir haben nicht vor zu gehen«, ruft ein junger Punker. Im zweiten Stock des vierstöckigen Hauses, in dem sich die Potse befindet, halten zwei vermummte Frauen ein Banner aus dem Fenster, auf dem »Potse bleibt« steht. Ein paar Polizist*innen stehen gelangweilt an der Seite.

Eigentlich hätte längst Schluss sein sollen mit den beiden Jugendclubs. Am Silvestervormittag sollten die Kollektive die Schlüssel für ihre Räume an Bezirks-Jugendstadtrat Oliver Schworck (SPD) übergeben, um Platz zu machen für ein »Hostel für Start-up-Yuppies«, wie die Aktivist*innen sagen. Der zukünftige Mieter ist laut Potse und Drugstore Rent24, das nebenan bereits einen Co-Working-Space, also eine Bürofläche zur Einzelvermietung von Schreibtischen, betreibt. Gegenüber »nd« versicherte das Unternehmen jedoch, über keinen Mietvertrag für die Räumlichkeiten zu verfügen. Der Drugstore hat seine Räume aus Angst vor einer Schadensersatzklage gegen seinen Trägerverein wie vereinbart übergeben. Für das Kollektiv, das es Jugendlichen seit 1972 ermöglicht, selbstständig Veranstaltungen und Konzerte durchzuführen, ist der Standort an der Potsdamer Straße 180 Geschichte.

Nicht so die Potse. Als Kind der 80er Jahre hat es seinen rebellischen Charakter behalten: »Das Potse-Kollektiv hat sich entschlossen, in seinen Räumlichkeiten zu bleiben«, teilen die Jugendlichen mit. »Die angebotenen Ersatzräumlichkeiten stellen im besten Falle einen Witz dar.« Für Oliver Schworck eine unerwartete Entwicklung. »Mir wurde versichert, dass beide Kollektive beschlossen hätten, die Räume aufzugeben«, sagt er dem »nd«. Das bestreiten die Jugendlichen: »Wir haben das nie zugesichert«, meint Jana vom Potse-Kollektiv. »Wir haben es aber auch nicht verneint«, schmunzelt sie. So oder so wollen die Besetzer*innen so lange bleiben, bis ihnen Räume zur Verfügung gestellt werden, in denen sie ihre Angebote aufrecht erhalten können. In den Ersatzräumen in der nahe gelegenen Potsdamer Straße 134/136, die schrittweise bis Juli 2019 übergeben werden sollen, können sie das nicht: Hier sind zwar ein Jugendtreff und Aktivitäten wie die Siebdruckwerkstatt möglich, jedoch keine lärmintensive Nutzung durch Proben und Konzerte.

Stadtrat Schworck hat Verständnis für die Jugendlichen und bemüht sich um eine einvernehmliche Lösung: »Ich suche jetzt nach Übergangslösungen, bis wir eine Alternative gefunden haben - von der ich nicht weiß, ob wir sie finden werden.« Eine Möglichkeit könnte das Gebäude des ehemaligen Tempelhofer Flughafens sein. »Es sieht gut aus, dass wir dort zwei-, dreimal im Monat Konzerte hinkriegen könnten, und vielleicht schaffen wir es auch, einen Proberaum zur Verfügung zu stellen. Dann wäre ein großer Wurf gemacht«, so Schworck. Ob das eine dauerhafte Lösung ist, weiß er ebenso wenig wie, ob das die Kollektive zufriedenstellen wird. Als Nächstes will er sich mit den Jugendlichen zusammensetzen und einen Begehungstermin in Tempelhof vereinbaren.

Wie die Potse hat auch die Neuköllner Kollektivkneipe Syndikat ihre Schlüssel am vereinbarten Termin nicht an die Hausverwaltung abgegeben. Als diese am 2. Januar in der Weisestraße 56 vorbeikam, war im Syndikat niemand da. Nach monatelangen Protesten gegen die Kündigung der Kneipe durch den Eigentümer, eine milliardenschwere britische Immobilienfirma, war dieser Schritt als Ultima Ratio schon länger geplant. »Wir konnten das aber natürlich nicht bekannt geben«, sagt Christian vom Kollektiv. Damit gerechnet habe die Hausverwaltung laut Syndikat-Anwältin trotzdem. Tun kann diese erst mal nicht viel - die Sache muss jetzt per Gericht geregelt werden. Wie lange es dauert, bis es möglicherweise zur Räumung kommt, ist nicht abzusehen und hängt ganz vom Arbeitstempo des Gerichts ab. Bis dahin öffnet die Kneipe zu gewohnten Zeiten und setzt ihren Betrieb wie in den vergangenen 33 Jahren fort. »Wir hoffen natürlich immer noch, dass wir bleiben können«, sagt Christian. »Ohne diese Hoffnung wäre die ganze Aktion nur ein teuer Spaß.«

Die Besetzer*innen der Potse harren derweil in dem Jugendzentrum aus und fürchten eine Räumung. Unberechtigterweise, meint Stadtrat Schworck: »Ich kann gar nicht räumen lassen. Ich bräuchte dafür einen Gerichtsbeschluss, und es dauert eine ganze Weile, bis ich den kriege.« Ob er oder der Vermieter überhaupt eine Räumung beantragen, steht noch nicht fest. »Wir haben kein Interesse, an der Eskalationsschraube zu drehen.« Trotzdem stellt Schworck eines klar: »Es wird keine Lösung am bisherigen Standort geben.« Dort findet mittlerweile eine dauerhafte Mahnwache statt. An der Hauswand hängen große Zettel: »Wir brauchen Potse und Drugstore, weil …« steht dort. »... Selbstorganisation ein Schlüssel zu gutem Leben ist«, hat jemand daruntergeschrieben.

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