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Rechte Drohliste auf linkes Portal geschmuggelt

»Wir kriegen Euch alle« stand zwei Stunden lang mit über mehr als 200 Namen und Adressen bei Indymedia

Hinter der Sache steckt höchstwahrscheinlich die rechte Szene. Im linksalternativen Internetportal Indymedia wurde am Sonnabend um 12.10 Uhr anonym eine lange Liste mit mehr als 200 Namen veröffentlicht. Darauf stehen jeweils die Adressen vor allem in Deutschland, aber auch in Österreich, in der Schweiz und in den Niederlanden. Versehen wurde das Ganze mit der drohenden Überschrift »Wir kriegen Euch alle«. Nachdem dies zwei Stunden später bemerkt und gelöscht wurde, ist der Beitrag noch mehrmals hochgeladen, dann aber immer wieder umgehend entfernt worden.

Aufgeführt sind auf der Liste, die dem »nd« vorliegt, Journalisten, Politiker und Künstler sowie Aktivisten, darunter etliche prominente Persönlichkeiten. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich im engeren oder weiteren Sinne entweder für Flüchtlinge einsetzen oder gegen Faschisten, oft auch auf beiden Feldern aktiv sind. Einige der Namen auf der Liste sind mit teils beleidigenden Hinweisen versehen. So heißt es in manchmal auch falscher Rechtschreibung: »hetzt gegen AfD«, »Grün und Homo«, »Demonstrantenfotze« oder »Scheiß Negeranwältin«.

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Schon zuvor hatten Unbekannte persönliche Daten und Dokumente von 994 deutschen Politikern, Journalisten und anderen Persönlichkeiten im Internet veröffentlicht. Dabei waren auch private Chats und Kreditkarteninformationen einsehbar. Betroffen waren Politiker aller im Bundestag vertretenen Parteien mit Ausnahme der AfD. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war vom Datenraub betroffen.

Erst am Donnerstagabend war bekannt geworden, dass über einen Twitteraccount bereits im Dezember massenhaft Daten und Dokumente im Netz veröffentlicht worden sind. Innenminister Horst Seehofer (CSU) verspricht dazu umfangreiche Informationen. Er wolle sich an diesem Montag zunächst noch einmal mit den Chefs des Bundeskriminalamts und des Bundesamts für IT-Sicherheit (BSI) zusammensetzen und spätestens Mitte der Woche die Öffentlichkeit unterrichten, sagte Seehofer der »Süddeutschen Zeitung«.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki rügt: »Das BSI hat sich nicht mit Ruhm bekleckert.« BSI-Präsident Arne Schönbohm müsse sich fragen lassen, »ob er der richtige Mann auf dieser Position ist«, erklärte Kubicki dem Sender n-tv. Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) rügt laut »Bild«-Zeitung, dass die Daten tagelang im Netz einsehbar waren und die Behörde nichts unternommen habe.

»Auffallend ist weniger das technische Vorgehen der Angreifer, als vielmehr die Akribie mit der die Daten gesammelt, sortiert und aufbereitet wurden«, erläuterte Linus Neumann vom Chaos Computer Club dem »nd«. Dass Angriffsmuster bei dem Datenklau deute darauf hin, »dass Passwörter nicht stark genug waren oder mehrmals verwendet wurden«. Die sei ein »klassischer und schwerwiegender Fehler«.

Die Wellen, die dies alles nun schlägt, ermunterten die rechte Szene vermutlich dazu, am Sonnabend als unverhohlene Drohung bei Indymedia die speziellere Liste einzustellen. Trifft diese Vermutung zu, so würde es sich um einen oder mehrere Trittbrettfahrer handeln, die eine bereits in der rechten Szene kursierende Liste hervorzogen oder aus verschiedenen Listen eine eigene Liste zusammengebastelt haben.

Von beiden Veröffentlichungen betroffen ist die brandenburgische Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (LINKE), deren Spezialgebiet die Asylpolitik ist. Kaum persönlich jucken muss sie der Twitter-Fall. Hier war bloß eine Telefonnummer angegeben. Es handelte sich dabei lediglich um ihre Bürodurchwahl im Potsdamer Landtag, die sowieso an verschiedenen Stellen legal nachgeschlagen werden kann. Bei Indymedia tauchte jedoch ihre Mobilfunknummer und darüber hinaus - und das klingt viel bedrohlicher - ihre Privatadresse auf.

»Solche rechten Feindeslisten gibt es immer wieder. Das weiß man, wenn man sich antifaschistisch betätigt«, antwortete Johlige dem »nd« am Sonntag auf Nachfrage. »Dennoch ist es jedes Mal eine psychische Belastung. Einschüchterung und Drohung ist die Absicht der Täter. Aber dadurch lasse ich mich nicht von meinem Engagement abhalten.« Woher der oder die Täter ihre Adresse haben, kann sich Johlige auf Anhieb nicht erklären.

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