Twitter nicht den Rechten überlassen

Kontra: Der Grünen-Chef verlässt die sozialen Netzwerke lieber, anstatt Widerspruch gegen Hass und Hetze zu üben

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 2 Min.

Robert Habeck ist kein Mann, der gerne einfache, kurze Antworten gibt und Gedanken in knappen Sätzen formuliert. Dass der Grünen-Chef, Doktor der Philosophie und Schriftsteller ein Talent zur stilistisch, formvollendeten Sprache besitzt, erkennt jeder, der Habecks Blogbeiträge auf seiner Website liest. Da wird seine Vorstellung für eine Reform des Sozialsystems zur »Stunde der mutigen Karnickels«, ein Beitrag über seine letztjährige Sommerreise mit den Worten »Diadem aus Dreck und Letten« überschrieben. Vielschichtige Gedankengänge, denen man sofort anmerkt, dass sie von ihrem Verfasser mal nicht im Vorbeigehen ins Internet gerotzt wurden.

Letzteres attestiert Habeck den sozialen Netzwerken, insbesondere Twitter. Der Kurznachrichtendienst verleite ihn, »aggressiver, lauter, polemischer und zugespitzter zu sein – und das alles in einer Schnelligkeit, die es schwer macht, dem Nachdenken Raum zu lassen.« Und weil er damit nicht umgehen könne, macht er Schluss. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Pro: Gegen den Social-Zwang
Niemand sollte gezwungen sein, Facebook und Twitter zu nutzen - auch nicht Robert Habeck. Die einzigen, die davon profitieren, sind die Konzerne selbst, findet Lou Zucker.

Träfe Habecks Argumentation zu, er müsste so konsequent sein und dürfte in Zukunft weder Talkshows besuchen noch Zehnsekünder in die Mikrophone der Nachrichtensendungen sprechen. Denn auch hier trifft im Kern zu, was der Grünen-Chef hasst: Es kommt nicht darauf an, wer die ausgeklügeltes Argumentation hat, sondern wer sie in kurze, prägnante Statements verpacken kann.

Dies soll keine Fürsprache für eine Verknappung politisch komplexer Sachverhalte auf vermeintlich einfache Wahrheiten sein, sondern illustriert, dass eine zurecht kritikwürdige, oft aggressive Sprache kein Problem der digitalen Welt allein ist. Der Hass im Netz spiegelt lediglich wieder, was auf der Straße passiert, an den Stammtischen gehetzt und in den Köpfen gedacht wird.

Gewissermaßen sollten wir den sozialen Netzwerken dankbar sein. Man muss nicht unbedingt zu Pegida nach Dresden oder zum nächsten AfD-Aufzug fahren, um zu erfahren, wie die adressierte Zielgruppe tickt. Diese kübelt ihren Rassismus ins Netz, die Rechte hat darauf ihr Geschäftsprinzip aufgebaut, weil sie so ungefiltert auch jenes Publikum erreicht, das Nachrichtensendungen oder Zeitungen nicht mehr traut. Kurzum: Die radikale Rechte hat im Gegensatz zu Habeck begriffen, wie politische Kommunikation funkioniert. Man muss da sein, wo die Wähler*innen sind. Und die sind zu Millionen in den sozialen Netzwerken aktiv.

Habecks Rückzug heißt auch, dass er dem Hass die sozialen Netzwerke überlässt. Dabei ist es eine der großen Stärken Twitters, auf Geschriebenes direkt reagieren zu können – auch, wenn man sich fünf Minuten Zeit für eine Antwort lässt.

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