Die passenden Mieter

Der Bundesgerichtshof entscheidet, ob Unternehmen dauerhaft zu Sozialwohnungen verpflichtet werden dürfen

Die hannoversche Wohnungsgenossenschaft Gartenheim gefällt sich darin, anders zu sein. In ihrer Selbstdarstellung schiebt sie anderswo übliche Beschreibungen von Genossenschaften, die »breite Schichten der Bevölkerung mit günstigem und sicherem Wohnraum versorgen« wollen oder »demokratische Selbstbestimmung« betonen, als langweiliges »Bla Bla Bla« beiseite. Stattdessen feiert sie sich schnodderig als solides, effizient geführtes Wirtschaftsunternehmen, das auf Kreativität und Veränderung setzt und nichts so sehr verabscheut wie »Erstarrung und Zuspätkommen«. Zuletzt polarisierte Geschäftsführer Günter Haese im vergangenen Jahr mit einer bizarren Werbefigur: »Busenschnecke« Dori, von ihm entworfen und angeblich inspiriert von seiner Ehefrau Doris.

Deutlich geräuschloser als sein Marketing verlief bislang eine Klage, die der Gartenheim-Chef bis zum Bundesgerichtshof (BGH) verfolgt hat. »Die Mieter werden überrascht sein, ihre Häuser in der Presse zu finden«, meint er gegenüber »nd«. Das Anliegen passt jedoch zum »Wir sind anders«-Gestus der Genossenschaft. In einer Zeit, in der der Mangel an Sozialwohnungen ein allgemein anerkannter Missstand ist, klagt Haese nämlich gegen die Sozialbindung von 52 Wohnungen in seinem Bestand.

Insgesamt gehören der Genossenschaft 4200 Wohnungen in Hannover. Das Urteil der Karlsruher Bundesrichter an diesem Freitag, das möglicherweise erst später verkündet wird, könnte jedoch Bedeutung weit über die Stadt hinaus haben. Es geht um die Frage, wie lange eine Wohnungsgenossenschaft verpflichtet werden kann, Sozialwohnungen anzubieten. Im konkreten Fall hatte die Stadt im Jahr 1995 Grundstücke unter Gewährung von Subventionen an eine Wohnungsbaugesellschaft verkauft. Verbunden damit war die Verpflichtung, dort unbefristet Wohnungen für arme Menschen einzurichten. Die Genossenschaft Gartenheim übernahm die Bestände noch im selben Jahr mit sämtlichen Auflagen.

»Ahnungslos« habe er damals ein »Haus mit Leiche im Keller« erworben, klagt Haese nun. Er fühle sich von den Behörden »für dumm verkauft«. Vom Gericht erhofft er sich die Feststellung, dass die Vereinbarung zur Sozialbindung nach 20 Jahren endet. Der Geschäftsführer beruft sich dabei auf das Wohnungsbaugesetz, das als Regel für eine Zweckbindung 15 Jahre festlegt. Die unbefristete Zweckbestimmung führe demnach dazu, dass dauerhaft keine marktgerechte Miete erzielt werden könne, während die gewährten Fördermittel ab einem bestimmten Zeitpunkt aufgebraucht seien.

Haese sagt, es gehe ihm gar nicht vor allem ums Geld, sondern ums Prinzip. Er habe nicht die Absicht, die Mieten zu erhöhen. Für die heutigen Bewohner soll alles bleiben wie bisher. Viel mehr als die gedeckelte Miethöhe wurmt ihn, nicht frei entscheiden zu können, wer in die Wohnungen einzieht. Denn die Stadt habe ein Vorschlagsrecht. »Wir als Genossenschaft wollen uns selbst aussuchen, wer in die Hausgemeinschaft passt.«

In Hannover mag man sich da an einen Geschäftsbericht aus dem Jahr 2015 erinnern, der für Schlagzeilen sorgte. Die »Hannoversche Allgemeine Zeitung« zitierte seinerzeit daraus. In dem Bericht kritisierte Haese eine »angeordnete Willkommenskultur«, beschrieb Deutschland als »faktisch besetztes Land« und die Deutschen angesichts des Flüchtlingszuzugs schon bald als »niedergetrampelte, ausgestorbene Nation«, überrannt von Bevölkerungsgruppen, »deren Nutzungs- und Abnutzungsverhalten« von Wohnraum nicht mehr abzuschätzen sei. Sein Fazit: »Im schlimmsten Falle könnte es (...) zu einem eklatanten Kon-trollverlust bisheriger Bewirtschaftungsmuster kommen.«

In den vorigen Instanzen ist Haese mit seiner Klage gescheitert. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Celle ist die Verpflichtung rechtens und auch nicht unverhältnismäßig, da die öffentliche Hand dem privaten Investor nicht nur ein zinsgünstiges Darlehen gewährt, sondern mit dem Verkauf von Grund und Boden auch einen dauerhaften Vorteil verschafft habe. Zudem definiert das Wohnungsbaugesetz neben der Regel auch Ausnahmen, wann über die 15 Jahre hinausgegangen werden kann. Die Bereitstellung von Bauland und die Förderung zugunsten bestimmter Personengruppen gehören dazu.

Der Mieterbund bestätigt, dass eine unbefristete Preisbindung »nicht der Normalfall« ist. Gängig seien 15 bis 35 Jahre, sagte Geschäftsführer Ulrich Ropertz dem »nd«. Jahr für Jahr gingen 50 000 Sozialwohnungen verloren, weil die Sozialbindung ausläuft. Das Ergebnis: Gab es Anfang der 1990er Jahre noch 4 Millionen preisgebundene Wohnungen, sind es heute nur noch 1,25 Millionen. Was derzeit neu gebaut wird, kann diesen Schwund nicht stoppen. Eine unbefristete Sozialbindung für einen Teil der Wohnungsbestände wäre aus Ropertz’ Sicht der »Idealfall«. Der Mieterbund warnt daher vor Einschränkungen. Gäben die Bundesrichter Haese Recht, wäre diese Option in Zukunft verbaut.

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