Trotz des Regens

100 Jahre nach der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gedachten ihrer Tausende Menschen

  • Marion Bergermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Über einen Kilometer lang erstreckt sich die Flut von Fahnen und Menschen über die Frankfurter Allee in Berlin. 15 000 Menschen sind laut Veranstalter zur Demonstration gekommen, um zum 100. Jahrestag der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts der beiden Kommunisten zu gedenken. Pünktlich um zehn Uhr sind die Demonstrierenden vom Frankfurter Tor in Friedrichshain losgelaufen.

»Trotz alledem!« hatten die Veranstalter, ein Bündnis linker Gruppen und Parteien, als Motto der diesjährigen Demonstration ausgerufen. Trotz, oder im Grunde wegen der ungleichen Vermögensverteilung in der Welt, Kriegen und Geflüchteten, die an ihrer Flucht gehindert werden, solle man nicht resignieren und weiterkämpfen. Das Motto ist eine Anspielung auf einen Artikel Karl Liebknechts, der mit dem Titel »Trotz alledem« am 15. Januar 1919 in der Zeitschrift »Rote Fahne« erschienen war und kämpferisch das künftige Aufbegehren der Proletarier beschrieb. Heute trotzen die Demonstrierenden auch dem Wetter, es regnet stundenlang, der Wind lässt die vielen Fahnen flattern.

Warum es 100 Jahre nachdem Freikorpssoldaten die Kommunisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar ermordeten noch wichtig ist, zur Demonstration zu kommen? »Weil wir unsere Vorkämpfe nicht vergessen dürfen«, sagt Angelika Kurowski. Die 73-Jährige Hellersdorferin findet es wichtig, »dass man an die Umstände der Ermordung erinnert«. Damals machten zwar rechtsextremistische Freikorps Jagd auf Sozialisten und töteten ihre prominenten Anführer, an der Regierung war jedoch die SPD, die nicht einschritt und zuvor bereits brutal gegen sozialistische Revolutionäre vorgegangen war.

Deniz ist 25 Jahre alt und mit anderen hier, die eine Fahne der Türkischen Kommunistischen Partei tragen. Sie findet das Gedenken immer noch wichtig, »weil heute in ganz Europa der Faschismus wächst. Das liegt auch an den Sozialdemokraten, die arbeiterfeindliche Politik gemacht haben. Die SPD in Deutschland, die Sozialisten in Frankreich, aber auch kommunistische Parteien machen den Fehler zu vergessen, dass Kapitalismus hinter dem Rechtsruck steckt. Man muss bei den Arbeitern in den Fabriken ansetzen«.

Aus Deniz’ Gruppe sind Leute aus Belgien, Niederlanden und der Schweiz extra angereist, um heute dabei zu sein. Wie jedes Jahr sind eine Vielzahl linker, sich nicht immer einiger Strömungen auf der Demonstration vertreten. Eine Blaskapelle spielt »Bella Ciao«, Teilnehmer schwenken Fahnen von kommunistischen Parteien und Gruppen, auch die der der Freien Deutschen Jugend (FDJ) ist darunter. Der 30-jährige Tomé setzt sich für ein unabhängiges Galizien im Nordwesten Spaniens ein und kam heute mit seinen Bekannten her, die Unabhängigkeit für das Baskenland und Katalonien wollen. »Wir müssen auch heute noch gegen Krieg und Militarismus sein, wenn man sich zum Beispiel die NATO-Repression in Syrien anschaut«, sagt er.

Marvin, der 25 Jahre alt ist und der Gruppe »Revolution Kommunistische Jugendorganisation« angehört, findet es aus einem anderen Grund wichtig, noch nach 100 Jahren Liebknechts und Luxemburgs zu gedenken. Er betont, dass er nicht hier sei, um »Personenkult zu betreiben«, sondern weil die Schriften und Ideen der beiden Sozialisten noch aktuell sind. »Wenn man sich den Rechtsruck anguckt, sehen wir bei Luxemburg und Liebknecht, dass die Arbeiterklasse eine gesellschaftliche Schlüsselstelle ist. Eigentlich heißt es gerade jetzt, sozialistische Forderungen aufzustellen und diese mit Antirassismus zu verknüpfen.«

Flotten Schrittes zieht der lange Demonstrationszug von der Frankfurter Allee zum Friedhof der Sozialisten in Friedrichsfelde. Es hat etwas von einem ruhigen Volksfest vor dem Friedhof. Die Marxistisch-Leninistische Partei wirbt um Unterschriften, an den Ständen kann man die Zeitschrift »Spartakist« oder die »Kommunistische Arbeiterzeitung« kaufen. Zwischendrin gibt es Erbsensuppe.

Die Demonstrierenden vermischen sich mit denen, die nur zum Friedhof gegangen sind, um Blumen abzulegen und ruhiger zu gedenken. Familien sind hier, Jugendliche, und viele ältere Menschen. Es ist das Gedenken an kommunistische Vorkämpfer, aber auch das Treffen derer, die in einem Land aufwuchsen, das es nicht mehr gibt. Vor dem Friedhofseingang wird es voll. Nicht nur zur Demonstration, auch zum stillen Gedenken sind dieses Jahr mehr Menschen gekommen als zuletzt, sagt Sylvia Müller, die Verantwortliche des stillen Gedenkens auf dem Friedhof.

Etliche Menschen legen eine rote Nelke auf die Grabsteine von Luxemburg und Liebknecht, aber auch der anderen berühmten Sozialisten wie Carl Legien oder Emma Ihrer. Die rote Nelke, das Symbol der Arbeiterklasse seit dem 19. Jahrhundert, als diese am ersten Mai 1890 für einen Acht-Stunden-Tag demonstrierten und sich, da Fahnen verboten waren, eine solche Blume ins Knopfloch steckten, kostet heute einen Euro an einem Stand vor einem Blumengeschäft in der Straße zum Friedhof.

Gegen frühen Nachmittag leert sich der Platz, die Fahnen sind eingerollt, die Jacken durchnässt. Nächstes Jahr wieder.

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