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  • Aktionswoche weltoffenes Magdeburg

Eine Woche statt der »Meile«

In Magdeburg hat das Engagement für Toleranz rund um den Jahrestag der Zerstörung eine neue Form gefunden

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Jahrestag wird gesungen. 74 Jahre nachdem Magdeburg durch Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg in großen Teilen zerstört wurde, sollen diesen Mittwoch auf dem Alten Markt Friedenslieder erklingen, um »an die Verantwortung aller Generationen für ein friedliches und tolerantes Miteinander ... zu erinnern«.

So steht es im Programm der »Aktionswoche weltoffenes Magdeburg«, die bis 22. Januar läuft. Bisher sind 30 Veranstaltungen angemeldet, darunter ein Erzählcafé zu Erinnerungen an die Bombardierung, ein Vortrag über den »Rechtsruck« im Landtag oder eine »Schnippeldisko«. Ausrichter sind Vereine, Verbände, Schulen, Stadtteilinitiativen. Es sind, sagt Birgit Bursee vom neuen Bündnis »Eine Stadt für alle«, Akteure, die an dem historischen Datum »zeigen wollen, wofür sie stehen«.

In vergangenen Jahren gab es dafür in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt eine andere, zentrale Gelegenheit: die »Meile der Demokratie«, die seit 2009 alljährlich auf dem Breiten Weg neben Dom und Landtag stattfand. Sie war einst entstanden, weil Nazis das Gedenken an die Zerstörung zu vereinnahmen suchten. Ein Aufmarsch der Szene zählte zeitweise zu den größten bundesweit. Mit der Meile sollte ein zentraler Ort in der Stadt für die Demonstration versperrt werden. Zudem galt die Meile, die ein Bekenntnis zu Toleranz und Demokratie ausdrücken sollte, auch als Angebot für jene Magdeburger, die sich an Gegendemonstrationen oder gar Blockaden der Nazis nicht beteiligen wollten. Das Angebot wurde angenommen: Das von der Stadt Magdeburg ausgerichtete politische Bürgerfest zählte in manchen Jahren über 10 000 Besucher.

Allerdings gab es schon länger Kritik am unverbindlichen Charakter der Veranstaltung; teils war abfällig von »Bratwurst-Antifaschismus« die Rede. Als die Naziaufmärsche vor einigen Jahren auf immer weniger Resonanz zu stoßen begannen und dann ganz ausfielen, habe sich die Frage nach dem Sinn neu gestellt, sagt Bursee. Ihre Schwächen offenbarten das Konzept und die Organisationsform endgültig, als zur zehnten Auflage der Meile 2018 auch die AfD den Aufruf dazu unterschrieb - und die Stadt ihr die Teilnahme nicht verwehren wollte. Mancher sprach von gezielter »Sabotage« der Meile durch die Partei. Deren Beteiligung führte zu zahlreichen Absagen: Flüchtlingsrat, Lesben- und Schwulenverband, Paritätischer Wohlfahrtsverband, das Bündnis gegen Rechts und der Verein »Miteinander« zogen sich zurück. Zu einer gegen Rassismus gerichteten Veranstaltung, sagte dessen Geschäftsführer Pascal Begrich, könne man »keine Rassisten einladen«.

Schon damals war klar, dass sich die Meile neu erfinden müssen würde. Das ist mit dem Bündnis und der Aktionswoche jetzt der Fall. Ersteres wird von über 50 Akteuren der Zivilgesellschaft getragen, darunter AWO und DGB, aber auch Einrichtungen wie das Literaturhaus und der Offene Kanal. Ob weiteren Wünschen auf eine Beteiligung entsprochen wird, liegt in der Entscheidung eines Sprecherrats und nicht mehr der Stadt - auch wenn Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) Schirmherr ist.

Es geht aber nicht nur um den Umgang mit der AfD bei einer konkreten Veranstaltung, betont Bursee. Rechte Positionen seien in der Gesellschaft deutlich stärker wahrnehmbar als vor einigen Jahren, und zwar »in fast jeder Familie, jedem Verein, jeder Einrichtung«. Deshalb brauche es neue, vielfältige, an konkrete Situationen angepasste Formen der Auseinandersetzung. »Eine einzige zentrale Veranstaltung«, so Bursee, »reicht nicht.«

Diesen Ansatz begrüßt auch Robert Fietzke, der Sprecher des Bündnisses »BlockMD«, das 2014 gegründet wurde, um die damals noch regelmäßig stattfindenden Aufmärsche von Nazis zu blockieren. Er hofft, dass die neu aufgelegte Aktionswoche mit ihrem vielfältigen Programm »wieder politischer wird als die Meile«. Deren »Volksfestcharakter« sei dem Anliegen nicht mehr zuträglich gewesen.

Zugleich betont Fietzke, dass das Blockadebündnis ein anderes Ziel hat - und zwar in diesem Jahr wieder stärker als zuletzt. Nach zweijähriger Pause gibt es erneut eine Anmeldung für einen »Trauermarsch« der rechtsextremen Szene. Diese sei »ernst zu nehmen«, sagt Fietzke. Er rechnet mit ähnlichem Zuspruch wie bei einem Fackelmarsch von Neonazis in Magdeburg im zurückliegenden November mit 500 bis 600 Beteiligten.

»BlockMD« hat indes Widerstand angekündigt: »Wir wollen einen solchen Aufmarsch verhindern und gegebenenfalls blockieren.« Mobilisiert wird dafür allerdings vor allem in der Region, nicht wie in früheren Jahren bundesweit. Die Zeiten, sagt auch Fietzke, haben sich geändert. Zeitweise galt der Magdeburger Naziaufmarsch als bundesweit beworbene »Generalprobe« für jenen zum 13. Februar in Dresden. In Zeiten massiver rechter Mobilisierung, wie sie zuletzt in Chemnitz, Köthen oder Cottbus erfolgte und weit über die militante Naziszene hinaus erfolgreich war, ist er indes nur noch ein Termin unter sehr, sehr vielen.

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