nd-aktuell.de / 17.01.2019 / Kultur / Seite 16

»Es ist hart, ich bin Lateinamerikaner«

»Der Geist der Science-Fiction« ist ein früher Roman von Roberto Bolaño

Sabine Neubert

In seinem Roman »Die Naziliteratur in Amerika« lässt Roberto Bolaño einen Schriftsteller sagen, er nehme »keinerlei Rücksicht«, weder auf den Leser noch auf sich selbst.

Der chilenische, in Mexiko, später in Spanien lebende Autor Roberto Bolaño (1953-2003) hat ebenso scharfsinnig wie gnadenlos geschrieben, in erster Linie über das 20. Jahrhundert als Jahrhundert der Katastrophen. Nun wurde aus seinem Nachlass ein bislang unbekanntes Frühwerk veröffentlicht: »Der Geist der Science-Fiction«. Interessanterweise schreibt er auch hier über die schweren Themen, aber er wirkt dabei noch nicht existentiell betroffen, eher übermütig, mit viel jugendlichem Schwung und Ironie.

Dass er sich zugleich mit dem Grundmotiv der Science-Fiction aus der realen Gegenwart, zumindest gedanklich, herauskatapultiert, verwundert nicht, ist er doch - fast obsessiv schreibend - darum bemüht, Gegenwelten, Fluchtorte, mysteriöse Vorgänge und geheimnisvolle Figuren zu schaffen - und das, ohne die Realität rein fiktional zu verlassen. Immer geht es um Mexiko-Stadt, doch Bolaños Romanwelt ist Universum und Abgrund zugleich, wie sein gesamtes Werk.

Als er im Jahr 2003 an einer Leberzirrhose stirbt, weil er keinen Organspender findet, hinterlässt er mit dem posthum veröffentlichen Roman »2666« sein Opus Magnum, über das wahrscheinlich noch viele Jahre diskutiert werden wird, um seine permanente politische Aktualität zu begreifen - man denke nur an die derzeitige Entwicklung in Brasilien unter dem neuen Machthaber Jair Bolsonaro.

Bolaños Figuren irren durch Labyrinthe, Fluchtwege, Todesfälle, Morde (Morde, Morde), Liebesgeschichten, unbekannte Universitäten, Gefängnisse. Sie verschwinden und tauchen wieder auf. Wenn sie Glück haben, schrammen sie gerade noch über Abgründe hinweg. Wie hier am Romanende von »Der Geist der Science-Fiction« das junge Liebespaar Remo und Laura. Das Kapitel dazu heißt »Mexikanisches Manifest«.

Bolaño hat die Fertigstellung dieses jetzt nachgereichten Frühwerks, dem viele Motive späterer Romane schon angelegt sind, auf das symbolträchtige Jahr 1984 datiert.

Er erzählt vom ärmlichen, aber turbulenten Leben junger Menschen in den Siebziger Jahren in Mexiko-Stadt, wo Schreibwerkstätten, Dichterclubs und Lyrikzeitschriften aus dem Boden schießen. Die beiden blutjungen Studenten Remo Morán und Jan Schrella wohnen zusammen in einer dürftigen Mansardenwohnung. Auch sie träumen vom Schreiben.

Remo stürzt sich ins volle Leben, zusammen mit dem zwielichtigen José Arco kurvt er auf dessen Honda durch die Stadt, besucht Filmclubs und Cafés und lässt sich auf betrügerische Geschäfte ein. Jan dagegen sitzt auf der alten Matratze in seiner Mansarde und schreibt viele Briefe an (fiktive) amerikanische Sience-Fiction-Autoren. Die sollen ihm helfen, Lateinamerika zu retten. »Es ist hart, ich bin Lateinamerikaner, es ist hart, und was das Schlimmste ist, ich stamme aus Chile ...«

Wir haben es schon geahnt, Jan ist ein Alter Ego des Autors Roberto Bolaño, der selbst schreibend die Welt retten will. Vielleicht steckt aber auch in Morán ein bisschen von Bolaño, wer weiß das schon? Die jungen Exilanten bewegt, »was zum Teufel gerade in Chile passiert... und dass man den Militärs nie trauen« könne. Der Schatten, der über allem liegt, heißt Augusto Pinochet. Die Protagonisten sind Vorfiguren der »Wilden Detektive«, wie der ausgereiftere, große Roman Bolaños von 1998 heißen wird.

Auch sie erleben schon die gefahrvolle Verflechtung von Liebe und Politik. Jan, der Träumer, glaubt noch, dass »der Krieg durch Sex und Religion gestoppt werden kann,« während Remo erst einmal die Liebe rein körperlich zu ergründen sucht. Was ihm bleibt, sind »eine Folge von Bildern der nackten Laura ... (und) Schwärme von Vögeln und Wolken, die mit dem Hintergrund verschwimmen.« Den Hintergrund aber bilden die finsteren Ereignisse, an denen sich der Autor vor allem in seinem nachgelassenen Großroman »2666« abarbeiten wird.

Der Schatten Pinochets reicht 1973 bis Mexiko-Stadt. Er vernichtet die Hoffnungen und Träume der jungen Poeten Chiles: Davon handelt auch der ebenfalls frühe Roman »Stern in der Ferne« - das überzeugendste Buch Roberto Bolaños überhaupt. Während sich in Mexiko-Stadt die jungen Dichter noch spielerisch selbst erfahren, sitzen sie im chilenischen Concepción schon im Gefängnis oder werden aus dem Land getrieben. Star des neuen Regimes ist der hoch intelligente futuristische Dichter Carlos Wieder, der mit seiner Flugmaschine Bibelzitate in den Himmel über dem Gefängnis schreibt und gleichzeitig eiskalt mordet. Ein interessantes »Porträt« eines intelligenten Faschisten, die Verkörperung des Bösen schlechthin.

»Stern in der Ferne« ist das düstere Pendant zum »Geist der Science-Fiction«. Am besten man liest beide zusammen.

Roberto Bolaño: Der Geist der Science-Fiction[1]. Roman. Aus dem Spanischen von Christian Hansen. S. Fischer, 226 S., geb., 22 €.

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