Reflexionen im Stadtschloss

Ein Pro und Kontra über einen Gedenkort im Humboldt Forum

  • Lesedauer: 7 Min.

Bietet ein Gedenkort im Humboldt Forum die Chance, das Projekt doch noch zum versprochenen »Ort der Debatte« zu machen? Bliebe es bei einer leere Geste? Wäre das sogar kontraproduktiv?

Ein kleiner Schritt ist auch ein Anfang. Ein Gedenkort des Kolonialismus im Humboldt Forum könnte mehr sein als ein Alibi, finden Henning Melber, Thomas Fues und Johanna Ridderbeekx

Ende Oktober 2018 endete eine Tagung in Berlin zu »Shared History? Tansanisch-deutsche Kolonialgeschichte und Erinnerungskultur« mit einem Rundgespräch. In dessen Verlauf wurde Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, mit dem Vorschlag konfrontiert, im umstrittenen Humboldt Forum einen Gedenkort für die Opfer des deutschen Kolonialismus einzurichten. Zum Jahreswechsel machte Parzinger diesen Vorschlag publik und sprach in diesem Zusammenhang von einem »Raum der Stille«.

Anfang Januar 2019 haben auch die Ideengeber ihren Vorschlag für einen »Gedenkort für die Opfer des deutschen Kolonialismus im Humboldt Forum« der Öffentlichkeit vorgestellt. Er soll »ein Ort der Besinnung und Stille sein, der die Besucher*innen zu kritischer (Selbst-)Reflexion einlädt«, haben wir als Mitglieder der Initiativgruppe geschrieben. Wie ein solcher Gedenkort am besten ausgestaltet werden kann, bleibt weiteren konzeptionellen Diskussionen vorbehalten. Der Holocaust-Turm im Jüdischen Museum könnte hier ein Referenzpunkt sein.

Auch ist noch nicht entschieden, ob und wie geeignete Sonderausstellungen zu einschlägigen Themen aus verschiedenen Perspektiven - auch des globalen Südens -, die Nachdenklichkeit fördern können. Die Initiative versteht den Gedenkort als ersten Schritt zu einer zentralen Gedenkstätte in der deutschen Hauptstadt, die dezentrale Aktivitäten ergänzt und verstärkt. Vergleichbar ist das mit der Wechselwirkung zwischen einerseits dem Berliner Stelenfeld als zentralem Mahnmal des Holocausts und den »Stolpersteinen«.

Die Initiative stieß auf Zustimmung, aber auch scharfe Kritik. Ein Kommentar - ausgerechnet in der »Welt am Sonntag«, die zur Apologie des Kolonialismus sonst wenig Berührungsängste hat - wurde fast denunziatorisch mit »Ruhe im Karton« betitelt. Der Autor unterstellte der Initiative den Plan, das Gedenken an den Kolonialismus in einen Raum der Stille verbannen zu wollen.

Orte des Gedenkens sind in der Tat kein Marktplatz der Schreierei. Die wenigen Orte der Erinnerung und des Gedenkens an den Kolonialismus, die es bisher gibt, liegen oft versteckt, sind eher unauffällig und keinesfalls laut. Da hätte ein zentraler Raum im Humboldt Forum deutliche Vorteile, was bei entsprechend sorgfältiger Planung dessen potenzielle Reichweite und Wirkungskraft betrifft.

Wäre denn das Humboldt Forum ohne bewussten Bezugspunkt zu einer Auseinandersetzung mit dem deutschen Kolonialismus besser? Man unterstützt ja auch die Forderung nach eindeutiger Kennzeichnung der betreffenden Exponate als geraubte Beutestücke, obwohl damit die Restitution noch nicht vollzogen ist. Ob ein solcher Vorschlag nur eine Alibifunktion erfüllt, hängt maßgeblich von zivilgesellschaftlichem, politischem Handeln ab.

Die Lächerlichmachung des vorgeschlagenen Gedenkortes durch den Vergleich mit einer »Autobahnkirche« oder »Flughafenkapelle« ist eine polemische Fehlleistung. Das Humboldt Forum ist kein Transitbereich. Es ist ein Ziel für Besuchende, die sich für die Ausstellungen und für außereuropäische Kulturen interessieren. Es besteht ein direkter inhaltlicher Zusammenhang zwischen den Exponaten und einem Verweilort an zentraler Stelle. Er schafft Raum für Nachdenken und Gedenken, was koloniales Unrecht und dessen Opfer betrifft. Nachfahren der Kolonisierten können Impulse geben - was spricht dagegen?

Kritiker des Vorstoßes fordern stattdessen eine lautstarke Debatte zur Kolonialgeschichte. Die gibt es ja schon. Sie wird aber durch eine solche Initiative nicht relativiert, sondern gestärkt. Wirkliche Stille ist auch nicht leise. Sie kann recht laut sein. Es liegt an uns, ob wir sie hören wollen.

Im Humboldt Forum wären die Besuchenden eines Gedenkorts aufgefordert, auf die Stille zu hören. »Die Stimme des Intellekts ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör verschafft hat«, schrieb Sigmund Freud: »Am Ende, nach unzähligen oft wiederholten Abweisungen, findet sie es doch.« Wir sollten dieser Stimme im Humboldt Forum Raum geben. Als ein kleiner Schritt in erwünschter Richtung.

Ein leichter Ausweg für die Macher! Ein isolierter Raum im Humboldt Forum würde weder dem Andenken der Opfer des Kolonialismus gerecht - noch dem Thema der Raubkunst, findet Jürgen Zimmerer

Deutschland leidet immer noch an kolonialer Amnesie. Einen Gedenkort für die »Opfer des deutschen Kolonialismus« zu institutionalisieren, indem man die Debatte um das koloniale Erbe des Humboldt Forums nutzt, scheint deshalb vordergründig eine gute Idee. So richtig grundsätzlich die Forderung nach einem Gedenkort ist, so falsch sind hier Form und Ort. Denn weder löst dies die Probleme des Humboldt Forums, noch schafft es dem Gedenken angemessen Platz. Stattdessen weist es Verantwortlichen für das Forum wie in der Politik einen einfachen Weg, eine tiefer greifende Dekolonisierung zu meiden.

Das Humboldt Forum ist als Gedenkort für die »Opfer des deutschen Kolonialismus« der falsche Ort! Es steht für koloniale Beutekunst, eines sehr spezifischen Aspekts kolonialer Gewalt. Es sollte ein Erinnerungsort für koloniales »Sammeln«, Rauben und Ausstellen werden, für die Konstruktion europäischer Weltsicht. Und für globale Kunst. Es ist durch die zur Schau gestellten Kunstobjekte auch ein Ort afrikanischer Agency und Resilienz, die sich einer einfachen Opferzuschreibung entzieht. Auch die Beschränkung auf den deutschen Kolonialismus greift für das Humboldt Forum zu kurz. Ist es doch das Wesen des kolonialen Kunstraubes, dass die Objekte nicht nur aus deutschen, sondern auch den Kolonien anderer Mächte stammen. Der Kolonialismus war ein europäisches Projekt.

Es steht zu fürchten, dass der vorgeschlagene Gedenkort von der Raubproblematik ablenkt. Denn für Museumsmacher und Kulturpolitiker mag es paradoxerweise einfacher sein, an die Opfer des deutschen Kolonialismus zu erinnern, als sich der Geschichte des Hauses in seinen transkolonialen Verbindungen zu stellen - zumindest, solange es nur um einen Raum geht, noch dazu einen der Stille.

Das Humboldt Forum braucht weniger einen »Ort der Stille« als lauten, deutlichen Protest. Das Forum insgesamt ist zu dekolonisieren! Wie soll ein einzelner Raum in einer Aufmerksamkeitsökonomie bestehen, in der drei Dauer- und wechselnde Sonderausstellungen konkurrieren? Ein derartiger Ort mutiert leicht zu einem Feigenblatt, das eine unmittelbare und angemessene Thematisierung kolonialer Raubobjekte verhindert. Schon jetzt zeigt sich, dass die Macher des Forums die ursprüngliche Idee eher restriktiv auslegen und keinesfalls das Humboldt Forum zum »Mahnmal« oder »Museum des Kolonialismus« machen wollen, wie Hermann Parzinger bereits zu Protokoll gab.

Anstatt auf einen Gedenkraum des Kolonialismus zu setzen, sollte die Zivilgesellschaft dafür streiten, das Humboldt Forum insbesondere in der Geschichte seiner Objekte zu dekolonisieren. Das wäre Aufgabe genug. Die Benin-Bronzen als eindeutige Raubkunst und spektakulärste Objekte müssten erst restituiert und dann als Leihgaben gezeigt werden - in einem Forum, das man zumindest in einem substanziellen Teil Benin-Forum nennt. Ein Gedenkort darinwäre dann obsolet. Das Benin-Forum wäre der Gedenkort.

Verknüpft man koloniale Raubkunst mit der allgemeinen Geschichte der Opfer des Kolonialismus - im deutschen Kontext vor allem mit dem Völkermord an den Herero und Nama -, bringt man die Themen in eine Aufmerksamkeitskonkurrenz und wird letztlich beiden nicht gerecht. Es könnte so (erinnerungs-) politisch bei der Kultur abgeladen werden, was die große Politik nicht lösen will oder kann, etwa den zähen Streit um den ersten deutschen Genozid. Im Humboldt Forum würden die Opfer von Kolonialismus, Genozid und Rassenstaat weit weniger Aufmerksamkeit erlangen als etwa in der Nähe des Brandenburger Tors oder Reichstags. Im Stadtschloss wird der Kolonialismus zudem unweigerlich personalisiert - auf Wilhelms II., der dort residierte. Den strukturellen Ursachen und Wirkungen des Kolonialismus wird dies nicht gerecht.

Kann man sich wirklich nur darauf einigen, an einer Stelle in Berlin des Kolonialismus zu gedenken, so müsste das unübersehbar sein. Den »Schlüterhof« des Schlossnachbaus in Omaheke- oder Waterberg-Hof umzubenennen, ihn mit Sand zu befüllen oder die Barockfassaden durch Zitate des Stacheldrahtes der Konzentrationslager in »Deutsch-Südwest« zu brechen, wäre ein derartiger Akt - in einem Benin-Forum, das wäre ein Zeichen. Aber danach sieht es jetzt nicht aus.

Lesen Sie dazu auch: »Wir wollen maximale Transparenz.« Hermann Parzinger über das Humboldt Forum, Raubgut und Restitution

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