Bremsenlose Freiheit

Sieben Tage, sieben Nächte: Das Reich der Freiheit beginnt da, wo das Bremsen aufhört.

Freiheit, so lernte man dieser Tage, bedeutet offenbar für nicht unerhebliche, vorwiegend männliche Kreise in diesem Land, mit allem, was die Karre hergibt, über die Autobahn zu kacheln, in den Innenstädten eine ordentliche Dieselabgaswolke hinter sich herzuziehen und auf dem Frauenparkplatz zu parken. Für den ansonsten in jederlei Hinsicht geknechteten »Welt«-Chefredakteur Ulf Poschardt ist die Autobahn »das letzte Freiheitsfeld«; ein armer Jurastudent fühlte sich als Mann diskriminiert, weil in Eichstätt eine Frau vergewaltigt wurde bzw. deswegen Frauenparkplätze eingerichtet worden waren.

Kein Wunder, dass die Aufregung von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) über jene, die Adrenalinkicks auf deutschen Autobahnen verbieten wollen, so groß ist wie seine Begeisterung über die Kritik von 100 Lungenärzten an Feinstaubgrenzwerten, die ganz eventuell die Gesundheit der Stadtbewohner ein bisschen zu sehr schützen könnten, würden sie denn eingehalten. In diesem Zusammenhang kam auch die bodenlose Frechheit zu Tage, dass hierzulande der Dreck in der Luft ausgerechnet dort gemessen wird, wo er sich befindet, nämlich direkt an den Straßen.

Dankbar muss man den 100 Lungenärzten sein, die sicher wissen, wovon sie reden, weil sie in der Berliner Silbersteinstraße, der Landshuter Allee in München oder anderen Straßen wohnen, die tagsüber in hübsche Wölkchen gehüllt sind. Die treue Legion im Kampf gegen die hysterische, grün-versiffte Mehrheitsgesellschaft fordert, die ganze Sache erst mal richtig zu untersuchen. Vielleicht heilt Feinstaub ja sogar den Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen und verhilft zu ewigem Leben?

Das schlagende Argument gegen das Tempolimit, das nur Grüne, Linke und Frauen wollen, hat ohne Zweifel Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) gefunden: Es sei überflüssig, weil man ohnehin bei Autobahnfahrten im Schnitt nicht schneller fahre als 130 km/h. In Anbetracht der wachsenden Zahl an Staus, die der ADAC kürzlich meldete, wäre da sogar eine Mindestgeschwindigkeit von 200 Sachen bei freier Fahrt nicht zu viel verlangt, man will ja nicht zur Schleichernation werden.

Die Verteufelung der guten deutschen Autoindustrie wird jedenfalls die ganze Wirtschaft ins Verderben stürzen. Die Abneigung gegen Diesel breitet sich aus wie Glutenunverträglichkeit, und insgesamt wurden 2018 sogar schon ein paar Autos weniger in Deutschland zugelassen als im Jahr zuvor. Weniger! Sie wissen schon, was das im Kapitalismus bedeutet ...

Wird Deutschland geknechtet, bleiben als Horte der Freiheit nur noch letzte glückliche, tempolimitfreie Flecken wie Afghanistan, Myanmar und Nordkorea. Mit Marx gesprochen: Das Reich der Freiheit beginnt da, wo das Bremsen aufhört.

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