Unter Torhütern

Mit der Verpflichtung des Querdenkers Jens Lehmann wird es eng auf Augsburgs Trainerbank

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein sonniger Januartag 2017 im Dunstkreis von Puerto Banus, dem Jachthafen von Marbella: Irgendwo in den verwirrenden Häuserschluchten eines völlig verbauten Abschnitts der Costa del Sol hatte der FC Augsburg sein Winterquartier aufgeschlagen. Das Hotel wirkte unscheinbar, die Lobby winzig. Wer aus dem Fahrstuhl kam, stand fast schon vor der Tür. Das passte, hatte der Fußballbundesligist auch auf der Trainerbank gerade eine kleine Lösung gewählt. Der Versuch mit dem renommierten Dirk Schuster war gerade gescheitert, und der weitgehend unbekannte Fußballlehrer Manuel Baum wurde im Dezember 2016 zum Cheftrainer ernannt.

Das Eigengewächs aus dem Nachwuchsleistungszentrum begleiteten ins erste Trainingscamp einige Vorbehalte: Zu jung, zu unerfahren und zu zurückhaltend sei der gebürtige Niederbayer, hieß es. Und war er nicht bereits zu kleingewachsen, als in der Jugend beim TSV 1860 München sein Traum von der Profikarriere als Torhüter geplatzt war? Das Vertrauen, das Augsburg in ihn setze, sagte er damals, sei ein »Sechser im Lotto«. Schließlich sei das Spieltempo bei den Profis schneller viel höher als bei seinen bisherigen Trainerstationen, die Gangart härter, die Spieler aber auch deutlich lernfähiger. Davon ließ er sich jedoch nicht einschüchtern. Vielmehr startete er ziemlich selbstbewusst in den neuen Job, denn schon als Aktiver hätte er stets den besten Blick aufs Spielfeld gehabt: »Als Torhüter fängst du früh an, das Spiel zu lesen«, sagte er. Diese Position sei prädestiniert für den Rollentausch zum Trainer. »Moderne Torhüter sind extrem intelligent und verstehen den Fußball sehr gut.«

Insofern müsste der 39-Jährige Baum eigentlich in die Hände klatschen, nun, da der zehn Jahre ältere Jens Lehmann seinen Trainerstab verstärkt. Der war mit seiner modernen Auslegung des Torhüterspiels vor mehr als einem Jahrzehnt schon seiner Zeit derart voraus, dass er bei der Heim-WM 2006 Oliver Kahn aus der deutschen Nationalmannschaft verdrängte. Am Dienstag betraten die zwei Ex-Keeper nun erstmals gemeinsam den Trainingsplatz. Nicht nur ihre Vita weist gewaltige Unterschiede auf, auch ihre Erscheinung: Baum misst 1,69 Meter, Lehmann hingegen 1,90 Meter.

Was kann der Weltmann Lehmann, der sich die Eigenschaft bewahrt hat, erst nachzudenken bevor er losplaudert, beim Tabellen-15. bewirken? »Ich bin dankbar, dass ich hier mitarbeiten kann«, sagte Lehmann bei seiner Vorstellung. Er sehe sich als »unterstützender Teil des Trainerteams«. Ansonsten war er sichtlich bemüht, nicht großspurig rüberzukommen. »Ich bin einer, der gerne lernt. Die Grundlage sehe ich hier gegeben.«

Eine erhebliche Rolle bei der Verpflichtung dürften persönliche Bande zum 1990er-Weltmeister Stefan Reuter gespielt haben, mit dem Lehmann von 1999 bis 2003 bei Borussia Dortmund zusammenspielte. »Wir bekommen einen Top-Profi mit Siegermentalität«, sagte Augsburgs Geschäftsführer. Baum und Lehmann hätte sich zuvor getroffen und gegenseitig Gefallen an der Zusammenarbeit gefunden, versicherte Reuter.

In der Trainerkabine wird es nun enger: Mit Tobias Zellner, Michael Wimmer und Jonas Scheuermann stehen schon drei Assistenten auf der Gehaltsliste, dazu kommt Torwarttrainer Zdenko Miletic. Alle verblassen hinter dem neuen Star, der als Querdenker neue Ansätze einbringen will, wobei er auch demütig sein wolle: »Als Trainer bin ich unerfahrener als Manuel - deshalb kann ich viel dazulernen.« Vor allem Lehmanns internationale Erfahrung soll aber helfen, dass die Augsburger Profis künftig weniger Fehler machen. Als erstes Indiz für seine verstärkte Einflussnahme werteten Beobachter, dass der neue Nothelfer schon erstaunlich viele Kommandos im Übungsbetrieb gab - und als Letzter in die Kabine ging.

Lehmann ist auch kein kompletter Novize. In der Saison 2017/18 durfte er schon der Trainerlegende Arsène Wenger beim FC Arsenal assistieren. Abwegig ist nicht, dass ihm irgendwann selbst die Chefrolle zugetraut wird. Lehmann versicherte jedoch pflichtschuldig, Baum keine Konkurrenz zu machen: »Für mich stand auch bei Arsenal im Mittelpunkt, loyal zu sein. Im Moment habe ich keine Ambitionen, weil ich hier Co-Trainer bin.« Dass der Moment nicht von Dauer sein muss, ist in Augsburg jedem klar.

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