Fragezeichen hinter dem Biosprit-Boom

Ethanol-Herstellung in den USA lässt Preise für Lebensmittel steigen / Umwelteffekt gering

  • Renzo Ruf, Washington
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Herstellung von Treibstoff aus Mais erlebt im Mittleren Westen der USA eine wahre Blüte. Dieses Jahr wird ein Viertel der Maisernte zu Ethanol verarbeitet - mit Folgen für die Nahrungsmittelindustrie.
Der Boom ist unübersehbar. Fast jeder Maisbauer in Iowa, Illinois, Nebraska, Kansas, North und South Dakota sowie Minnesota - dem Kernland der USA mit seinen riesigen Getreidefeldern - hat sich dazu entschieden, neue Silos zu bauen. »Der einzige Grund ist die Ethanol-Produktion«, sagt Dave Fairfield von der Handelsorganisation »National Grain and Feed Association«. Dieses Jahr wird, so schätzen Fachleute, ein Viertel der Maisernte zu Ethanol verarbeitet. 118 Fabriken sind bereits in Betrieb. Sie werden bis zum kommenden Frühjahr 35 Milliarden Liter produzieren, eine Steigerung um fast 60 Prozent. Das ist aber nur ein Prozent des US-Treibstoffverbrauchs - viel zu wenig, um die Abhängigkeit von Ölimporten zu verkleinern. Die Landwirte profitieren gleich doppelt. Zum einen subventioniert Washington die Ethanolherstellung großzügig mit umgerechnet 0,11 Euro pro Liter, damit der Treibstoff trotz höherer Herstellungskosten den Konsumenten nicht mehr kostet als normaler Sprit. Zum anderen ist die Nachfrage nach Mais derart gestiegen, dass sich der Abnahmepreis vervielfacht hat. Während die Ernte des vergangenen Jahres einen Wert von 6,3 Milliarden Dollar hatte, werden die Bauern heuer 42 Milliarden einnehmen. Bäuerliche Kreise sind begeistert. »Dank Ethanol«, sagt eine Landwirtin aus Galva im Bundesstaat Iowa, »ist unser Dorf nicht von der Landkarte verschwunden.« Außerhalb des Mittleren Westens trifft der Aufschwung auf Zweifel. Die erhöhte Nachfrage nach Mais wirkt sich mittlerweile auf den Geldbeutel der Konsumenten aus. Mit Mais werden nämlich auch Rinder und Hühner gemästet. Die Agroindustrie wälzt die höheren Preise für das Tierfutter auf die Endpreise für Fleisch, Milch und Eier ab. Da Mais auch für die Nahrungsmittelindustrie von großer Bedeutung ist, läuten in der Branche die Alarmglocken. Der Konsument müsse sich entscheiden, ob Mais verfüttert oder zu Energie verarbeitet werden solle, sagt Dick Bond, Geschäftsführer des Nahrungsmittelkonzerns Tyson Foods. Beides gehe nicht. Manche Fachleute bezeichnen solche Aussagen jedoch als Schwarzmalerei. Kältewellen oder eine schlechte Weizenernte in Australien hätten ebenfalls negative Auswirkungen auf die Lebensmittelpreise. Keith Collins, Chefökonom des Landwirtschaftsministeriums, räumte kürzlich aber ein: Der Ethanol-Boom werde »leicht höhere« Nahrungsmittelpreise zur Folge haben. Fragezeichen werden auch hinter die Energiebilanz des »grünen Benzins« gesetzt. Vergärter Mais mag als Brennstoff weit besser abschneiden als herkömmliches Benzin. Aber auf dem Weg zur Tankstelle wird für die Produktion sehr viel Energie verbraucht - beim Aussäen, Ernten, Transportieren und Verarbeiten des Getreides. Kritiker bezeichnen Ethanol daher als Mogelpackung. Eine Studie des US-Parlaments hält fest, unter dem Strich schneide der Treibstoff aus Mais »leicht« besser ab als Benzin. Noch besser sähe die Bilanz aus, wenn Ethanol aus anspruchsloseren Pflanzen wie Gras, Holz oder Zuckerrohr hergestellt würde. Die Studie hält zudem fest, dass Ethanol nur dann zu einer Reduktion der Treibhausgase führt, wenn es Benzin in großen Mengen beigemischt werde. Der Treibstoff E85, der zu 85 Prozent aus Ethanol besteht, führe zu einer Verringerung der Emissionen um 20 Prozent. E10 hingegen, weit verbreiteter an den US-Tankstellen, reduziere den Ausstoß von Treibhausgasen nur um ein Prozent. Der Knackpunkt: Während alle Autos mit E10 betrieben werden könnten, funktionieren zurzeit nur wenige Motoren mit E85. Immerhin hat die Kritik am Ethanol-Boom eine Diskussion über die Vor- und Nachteile des Brennstoffes entfacht. Bisher habe es den Anschein gemacht, als sei Ethanol »moralisch besser als Öl«, sagt der Politikwissenschafter Steffen Schmidt von der State University in Iowa. Kein Politiker mit nationalen Ambitionen wage es deshalb, die ungewöhnliche Koalition aus Landwirten, Umweltschützern und Ölmultis zu kritisieren.
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