Wir sitzen ja nicht in Griechenland

Berlin prüft Verbot von Terrassenstrahlern / Aktion »Prost Klima!« gegen CO2-Schleudern

  • Lisa Krassuski
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.

Mediterrane Temperaturen das ganze Jahr über: Terrassenstrahler machen's möglich. Dass die sogenannten »Heizpilze« wahre CO2-Schleudern sind, ist den wenigsten klar.

Mitte, Friedrichshain, Prenzlauer Berg: In den Szenebezirken Berlins ist man jung, aktiv und umweltbewusst. Zum Einkaufen geht's in den Bio-Supermarkt, zu Hause werden Energiesparlampen eingeschraubt, und der Weg zur Uni wird selbstverständlich mit dem Rad zurückgelegt. Abends sitzt man im beheizten Vorzelt der Stammkneipe und freut sich bei einem Latte Macchiato über den geleisteten Klimaschutz. Doch während der »Klimaengel« im mollig warmen Vorbau lümmelt und seinen Kaffee schlürft, merkt er nicht, dass er gerade unfreiwillig kräftig zum Treibhauseffekt beiträgt. Denn nicht hitzige Diskussionen sorgen für die hohen Temperaturen vor Deutschlands Kneipen, sondern die allgegenwärtigen, mit Füssig- oder Erdgas betriebenen Heizpilze. Bei maximaler Leistung stößt ein Terrassenstrahler stündlich 3,5 Kilogramm Kohlendioxid aus. Allein in Berlin bedeutet das pro Jahr - bei geschätzten 5000 Heizpilzen - 10 000 Tonnen CO2. »Das entspricht der Jahresemission von 5000 Autos«, so Grünen-Abgeordnete Felicitas Kubala. Ihre Fraktion fordert den Berliner Senat auf, die Terrassenstrahler in den Cafés der Hauptstadt zu verbieten. Der prüft ein Verbot, plädiert jedoch für den Verzicht auf Heizpilze in Freiluft-Kneipen und -Restaurants. Die meist mit Butan oder Propan betriebenen Geräte sind nicht ungefährlich. In »Tim's Canadian Restaurant« im Berliner Bezirk Schöneberg wurden im Februar drei Menschen verletzt. Ein Angestellter hatte beim Wechseln der Gasflaschen die Gaszufuhr auf- statt abgedreht. Das Gas zündete durch umstehende Kerzen und konnte nicht entweichen. Denn trotz des Verbots, Heizpilze in geschlossenen Räumen zu betreiben, standen die Geräte unter einer abgeschlossenen Plastikmarkise. Laut Oliver Schworck (SPD), Stadtrat in Schöneberg, ist es Sache der Restaurantbesitzer, auf eine sachgerechte Handhabung der Heizpilze zu achten. Er sieht deren Nutzen zwiespältig: Positive Aspekte wie die Umsatzsteigerung seien verbunden mit negativen Seiten wie dem Gefahrenpotenzial und hoher CO2-Emission. Persönlich besucht er keine Restaurants mit Terrassenstrahlern: »Man muss ja nicht immer so tun, als würde man in Griechenland sitzen«, so Schworck. Gefahr entsteht nicht nur bei der Handhabung, sondern auch bei der Lagerung der Gasreserveflaschen. Das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit konstatierte in Berlin, dass Gastronomen die entzündlichen und explosiven Flaschen in Kellerräumen, Treppenhäusern und Flurgängen geradezu anhäufen. Bei 37 von 83 kontrollierten Betrieben gab es Mängel. Einmal sei sogar Gas ausgeströmt, weil der Regler »durch eingeklemmte Bierdeckel« blockiert war. Klar gegen die gefährlichen CO2-Schleudern haben sich in Berlin 16 Restaurant- und Hotelbesitzer entschieden. Sie sind Teilnehmer der Kampagne »Prost Klima!«, die mit Energiesparmaßnahmen zum Klimaschutz beitragen möchte. Initiator ist die Unternehmensberatung Gröschel Geheeb Responsible Branding GmbH, die sich auf Nachhaltigkeit und Energieeffizienz spezialisiert hat. Sie fand heraus, dass ein Terrassenstrahler den Betreiber monatlich rund 400 Euro kostet. Ein spürbarer Anstieg der Gäste sei dabei keineswegs feststellbar. Um die Initiative bundesweit bekannt zu machen, sei ein Netzwerk mit vielen Partnern nötig, meint Geheeb. Denkbar wäre eine Zusammenarbeit mit Kommunen oder Energieversorgern. Wie viele Terrassenstrahler es bundesweit gibt, weiß weder der Bund für Umwelt und Naturschutz, noch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband. Denn Gastronomen müssen ihre Gasfackeln nirgendwo anmelden. Das führt beispielsweise in Berlin zu einer Pilzinvasion. Im Café »rocco« am Hackeschen Markt stehen seit einem halben Jahr zehn der C02-Schleudern. Dass die Strahler genauso viel CO2 ausstoßen wie zehn Autos, schockiert die Restaurantbesitzerin zunächst, an eine Abschaffung denkt sie jedoch nicht: »Ohne Heizpilze laufen uns die Gäste davon«, beteuert die Gastronomin. Am Hackeschen Markt werden die Heizpilze dabei nicht »nur« zum Heizen genutzt. Ohne Metallabdeckung stehen sie als Riesen-Fackeln vor den Bars. Wer Klimaschutz unterstützen will, könnte sich eine »heizpilz-freie« Stammkneipe suchen. Zum Warmhalten gibt es Alternativen: eine heiße Tasse Kakao oder die vo...

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