Demokratie bleibt ein Traum

Acht Jahre nach dem Machtwechsel in Ägypten herrscht in Kairo wieder ein Autokrat

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Es war an einem Tag Mitte Januar, als die Menschen in Ägypten Bekanntschaft mit der »Nationalen Organisation für urbane Harmonie« machten. Überall im Land tauchten an den Haustüren Mitarbeiter der bis dahin völlig unbekannten Regierungsbehörde auf; was sie mitzuteilen hatten, brachte vielerorts die Gemüter ziemlich aus dem Gleichgewicht: Die Regierung habe beschlossen, dass alle Hauseigentümer ihren Besitz in einer bestimmten Farbe zu streichen haben: »Dafür haben wir das Land in sechs Regionen unterteilt,« sagt Mohammed Abu Saada, Chef der Organisation: »Jeder Region haben wir einen bestimmten Beige-Ton zugeordnet, der dafür sorgen wird, dass sich unsere Städte harmonisch in die Landschaft einfügen.«

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Doch viele Hausbesitzer fragen sich vor allem, wie sie die Malerarbeiten bezahlen sollen: Durch eine tiefe Wirtschaftskrise sind die Lebenshaltungskosten in den vergangenen Jahren stark gestiegen; viele Menschen haben Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen.

Während sich Präsident Abdelfattah al-Sisi bei öffentlichen Auftritten und bei Treffen mit Staatsgästen aus aller Welt als Garant für Stabilität darstellt und betont, er werde das Land in die Zukunft, die Moderne, in den Wohlstand führen, und dabei immer wieder von Demokratie spricht, steigt die Zahl derjenigen, denen es mit seiner Herrscher in ganz anderer Weise zu bunt wird.

Vor fast genau acht Jahren trat nach Massenprotesten Präsident Hosni Mubarak zurück; nach 30 Jahren unter dessen Führung hegten vor allem junge Ägypter danach große Hoffnungen, dass im Land eine wirkliche Demokratie entstehen könnte, und tatsächlich entwickelte sich einiges: Politische Parteien entstanden und eine kaum überschaubare Zahl an Gewerkschaften, Betriebsräten. In den Cafés, an den Universitäten saßen junge Leute zusammen und diskutierten.

Bis schon ziemlich bald zwei Welten aufeinander prallten. Auf dem Land, in den Armenvierteln der Städte sind die Menschen meist sehr konservativ; mit den Plänen, den Hoffnungen der Stadtjugend konnten sie wenig anfangen. Bei den ersten freien Wahlen Ägyptens im Juni 2012 wurde deshalb der aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft stammende Mohammad Mursi zum Präsidenten gewählt. Schon bald gab es die ersten Proteste gegen die Politik Mursis. Linke und säkulare Ägypter warfen Mursi vor, das Land unter die Kontrolle der Muslimbruderschaft bringen zu wollen; konservative Ägypter wünschten sich indes genau dies.

In den ersten Monaten des Jahres 2013 verschärften sich die Proteste; die Polizei ging mit ganzer Härte gegen die Demonstranten vor. Im Juni rief dann eine bis dahin unbekannte Bewegung namens Tamarud zu Massenprotesten anlässlich des ersten Jahrestages seit dem Amtsantritt Mursis auf; allein in Kairo nahmen mehrere hunderttausend Menschen daran teil. Drei Tage später setzte das Militär unter Führung von Generalstabschef Sisi den Präsidenten Mursi ab; immer wieder betonte Sisi damals, dies geschehe zum Schutze der Demokratie, und es sei »der Wille des ägyptischen Volkes«: die Demonstranten jubelten, und das Militär ging mit brutaler Härte gegen die Muslimbruderschaft vor. Mursi und die gesamte Führung der Muslimbruderschaft wurden inhaftiert und zu meist sehr langen Haftstrafen oder gar zum Tode verurteilt. Demonstrationen der Muslimbrüder wurden mit brutaler Gewalt aufgelöst; mehr als 1000 Menschen starben dabei.

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Doch Sisi machte auch vor jenen, die ihm im Juli 2013 mit großen Erwartungen zur Macht verholfen hatten, nicht halt: Das Versammlungsrecht, die Meinungsfreiheit wurden stark eingeschränkt, jeder wird seitdem inhaftiert, der gegen die strikten Vorgaben verstößt.

Denn schon bald zeigte sich, dass das Land nicht so geschlossen hinter Mursi steht, wie er behauptet: Zwei Mal stellte er sich bereits einer Präsidentschaftswahl, und beide Male lag das Ergebnis weit jenseits der 90 Prozent. Aber die Wahlbeteiligung betrug stets nur etwa 40 Prozent.Viele Ägypter gingen nicht hin, zumal vor der Präsidentschaftswahl im vorigen Jahr sämtliche Gegenkandidaten entweder fest genommen oder so eingeschüchtert worden waren, dass sie auf eine Kandidatur verzichteten.

Doch ganz verschwunden ist die Opposition nicht: Blogger, Gewerkschafter, kritische Studentengruppen trotzen der Gefahr, meist nur in der Anonymität - und manchmal durch direkte Provokation: So sorgte der atheistische Blogger Scharif Gaber mit einem Online-Spendenaufruf für Aufsehen. Er brauche 100 000 Dollar, um sich die Staatsbürgerschaft der Dominikanischen Republik kaufen und Ägypten verlassen zu können, denn die Geheimpolizei habe seinen Pass konfisziert und ihm die Ausreise verboten - es sei denn er stelle das Bloggen ein. Er hat sich aber fürs Schreiben entschieden.

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