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Kühe und Nazis

Berlinale-Forum: »Die Kinder der Toten«. Ein Heimathorrorfilm

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 4 Min.

Kühe, Nazis und Blasmusik. Das Heimatidyll und der Hass auf alles Fremde. Klar, Österreich! Das muss Österreich sein. Schon krass, dieses Land und seine sich mit der NS-Vergangenheit partout nicht beschäftigen wollende Bevölkerung. Aber dann kommt sie halt doch irgendwann hoch, zur denkbar ungünstigsten Zeit, wie der halbverdaute Mageninhalt. »Schade, dass man dieses kotelettförmige Land nicht einfach in eine Pfanne werfen, braten und aufessen kann« (Bernd Eilert). Österreich, dieses possierliche zweidrittelfaschistische Land inmitten Europas, in dem man passenderweise 40 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus mit einem gewissen Stolz auf die eigene Arschlochhaftigkeit einem Nazischergen das Bundespräsidentenamt übertragen hat (Kurt Waldheim, im Präsidentenamt von 1986 bis 1992) und über dessen eindrucksvolle Gesamthässlichkeit Elfriede Jelinek (Literaturnobelpreisträgerin) und Thomas Bernhard (Nestbeschmutzer) in ihren Romanen immer wieder geschrieben haben.

Jelinek zum Beispiel in ihrem Österreich- und Holocaust-Großgruselroman »Die Kinder der Toten«, der logischerweise unverfilmbar ist, weil er in einer Sprache verfasst ist, die sich nicht in simple Filmbilder übertragen lässt, ohne dass circa 97 Prozent seines Inhalts und seiner Form verloren gehen. In dem Roman geht es um die nicht vergehen wollende NS-Vergangenheit Österreichs und um den dort bis heute florierenden alltäglichen Rassismus und Antisemitismus. Auch der von staatsoffizieller Seite und von großen Teilen der Bevölkerung lange gepflegte Mythos von Österreich als »erstem Opfer Hitlers« wird darin von Jelinek sauber zerlegt.

Nun hat sich das sogenannte Nature-Theater of Oklahoma - hinter dem Namen verbirgt sich das Regieduo Kelly Copper und Pavol Liska - des Romans angenommen und eine »freie filmische Adaption« hergestellt, genauer gesagt einen Stummfilm. Eine auf Super-8-Material gedrehte Stummfilmgroteske, um ganz genau zu sein. Mit einer Tonspur, wie man sie aus David Lynchs Filmen kennt: einem dunkel-unheilvollen Störsignalton. Oder kaputter Blasmusik. Warum ein Super-8-Film? »Dies ist ein sterbendes Medium, aber wir wissen, dass es die richtige Wahl darstellt.«

Schauplatz ist die Pension »Alpenrose« in der Steiermark, in der niederträchtige Österreicherinnen und Österreicher herumsitzen, gemein zueinander sind und hasserfüllt dreinschauen. Fremde sind hier unerwünscht, außer sie bringen per Fremdenverkehr Geld. Aber im Grunde sind selbst die nicht willkommen. So weit kennt man das ja schon. Das ganz normale Österreich eben. Kurz danach kommt es zu einem schweren Busunfall, der zahlreiche Todesopfer fordert. Das ist zwar schlimm, aber wenigstens die Schaulustigen haben beim gemeinschaftlichen Herumstehen und Gaffen ihren Spaß: »Ist es nicht schön, wie eine Tragödie die Menschen zusammenschweißt?«

Die Lieblingsbeschäftigung der Österreicherinnen und Österreicher ist es allerdings, in einer Art heimlichen Séance in einem versteckten Kino tränenreich ihre toten Nazivorfahren zu beweinen und sich dabei in eine regelrechte Hysterie hineinzusteigern: Die eigenen Angehörigen bewahrt man in liebevoller Erinnerung, an die in den Konzentrationslagern Ermordeten hingegen will man nicht erinnert werden.

In der Folge wird Österreich, das heißt die Pension »Alpenrose«, von den Geistern der Toten heimgesucht, vor allem von den Geistern der verdrängten und beschwiegenen NS-Vergangenheit. Fortan stolpern Scharen von renitenten Untoten durchs Szenenbild, die keine Ruhe finden: Nazis und ihre Opfer, die Jüdinnen und Juden.

Unter anderem gibt es auch einen Förster, der sich umbringen will, und seine toten Söhne, einen Haufen Touristen, eine Handvoll unerwünschte und hungernde syrische Lyrikerinnen und Lyriker, kotzende Polizisten und, wie gesagt, viele Zombies. Mit einfachsten Mitteln, vielen Laiendarstellern, viel Sinn für Humor und für das Splatter- und Exploitationkino der 60er und 70er Jahre ist es hier gelungen, Jelineks komplexen Romankosmos in schrille Bilder zu fassen. Produziert wurde der Film passenderweise von Ulrich Seidl, selbst ein Großmeister des Grotesken, dem es immer wieder gelingt, das Verstörende und Beklemmende am normalen (österreichischen) Alltag bloßzulegen und dieses Elend in bedrückende filmische Tableaus (»Tierische Liebe«, »Jesus, du weißt«, »Hundstage«) zu packen.

Ach ja, und gelernt hat man auch etwas am Ende: »Der Tod ist Heimat.« Alltag raus, Österreich rein!

»Die Kinder der Toten«, Österreich 2019. Regie: Kelly Copper, Pavol Liska. 90 Min.

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