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Die Ressource Zukunft wird knapp

Der Jahreswohlstandsbericht der Grünen zeichnet ein eher düsteres Bild von Deutschland

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

110 Seiten dick ist der Jahreswirtschaftsbericht, den Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) Ende Januar vorstellte. Doch die Berichterstattung konzentrierte sich auf eine einzige Zahl: Die massiv nach unten korrigierte Prognose für das Bruttoinlandsprodukt, kurz BIP, für das laufende Jahr. Und auch bei dem am Montag veröffentlichten Weltwirtschaftsklima-Index des Münchener Ifo-Instituts fragt sich die Öffentlichkeit vor allem, wie sehr sich die schlechter werdende Stimmung in der Wirtschaft demnächst auf das BIP niederschlagen wird.

Dabei gibt es reichlich Kritik an der Fixierung auf diese drei Buchstaben. Die Höhe und Veränderung des BIP sagt nämlich nichts darüber aus, wie der produzierte Reichtum verteilt ist. Auch gibt die Zahl keine Auskunft darüber, wie es um unsere Umwelt oder unser politisches System bestellt ist und ob wir lange gesund leben können. Die Grünen-Bundestagsfraktion gibt deswegen seit dem Jahr 2016 einen Jahreswohlstandsbericht heraus, der die Lage der Bundesrepublik ganzheitlich messen soll.

»Es ist nicht allein die Wirtschaft, welche unsere Lebensqualität und unser Wohlergehen bestimmt«, schreiben die Autoren in der Einleitung zum Jahreswohlstandsbericht 2019, der am Montag in Berlin vorgestellt wurde. Vielmehr entstehe der »Reichtum« einer Gesellschaft auch aus dem »richtigen Umgang mit dem Human- und dem Sozialkapital sowie dem vorhandenen Naturkapital«, heißt es in dem 104 Seiten langen Papier.

Der Bericht ist für die Grünen eine Konsequenz aus der Enquetekommission »Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität«. Von Anfang 2011 bis Mitte 2013 stritten sich in diesem Gremium die damals im Bundestag vertretenen Parteien darüber, wie Höhe und Entwicklung des Wohlstandes hierzulande besser gemessen werden könnten. Die Ansichten darüber waren ganz unterschiedlich. Am Ende einigte man sich aber zumindest auf die Erkenntnis, dass Wohlstand mehr als »materieller Wohlstand« sei, und empfahl, dass der Bundestag ein neues Wohlstands- und Fortschrittsmaß etablieren solle. Zwei Bundestagswahlen später ist letztlich alles beim Alten geblieben und das BIP-Wachstum weiterhin der zentrale Gradmesser der (ökonomischen) Lage.

»Die Gleichung ›Wachstum gleich Wohlstand‹ geht nicht mehr auf. Wir haben einen illusionären Wohlstand«, sagt nun die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion Kerstin Andreae. »Wenn wir so weitermachen, steht unser Wohlstand auf dem Spiel. Unser Jahreswohlstandsbericht zeigt, dass die Ressource Zukunft knapp wird.«

Bei drei von acht Indikatoren des Grünen-Berichts steht die Ampel auf Rot, bei vier weiteren auf Gelb. Nur beim »Governance Index«, der angibt, wie gut die Politik mit ihrem Handeln die Rahmenbedingungen für den Wohlstand gestaltet, steht die Ampel für die Grünen auf Grün. »Dennoch ließen sich auch hier Empfehlungen für eine Stabilisierung oder sogar für eine weitere Verbesserung ableiten«, heißt es in dem Bericht zu der Kennzahl, die von der Weltbank übernommen wurde und die die hiesige Lage im internationalen Vergleich misst.

Besonders schlecht bestellt ist es um die der Ökopartei besonders wichtigen Umweltindikatoren. Bezüglich des ökologischen Fußabdrucks steht die Ampel nach wie vor auf Rot. »Die Differenz zwischen eigener Biokapazität in Deutschland und dem ökologischen Fußabdruck hat sich nur unzureichend verbessert«, heißt es in dem Bericht. So beruhe der Wohlstand auf Ressourcen und Entsorgungsleistungen, die zu einem großen Teil »extern« im Ausland oder durch Raubbau an der Zukunft aufgebracht worden seien. Auch in Sachen Artenvielfalt ist die Lage laut den Autoren hierzulande noch sehr schlecht.

Gleichzeitig steht die Ampel in Hinsicht auf soziale Belange auf Gelb. »Die hohe Einkommensungleichheit hat hohes soziales Konfliktpotenzial, das bislang bereits latent vorhanden war«, schreiben die Grünen. Die Verbesserung der letzten Werte basiere auf höheren Beschäftigtenzahlen respektive dem Rückgang der Arbeitslosenzahl, hätte dieses Problem aber nicht gelöst. »Denn die Unterschiede sind absolut immer noch sehr hoch, ob mit oder ohne Wachstumsphasen.«

So hatte das reichste Fünftel der Bevölkerung im Jahr 2017 hierzulande immer noch 4,5-mal so viel Einkommen wie das ärmste Fünftel zur Verfügung. Dies ist zwar schon weitaus weniger als 2014, als die Ungleichheit auf einem Höchststand war und die Reichsten 5,1-mal so viel zur Verfügung hatten wie die Ärmsten. Doch der Reichtum ist noch weitaus ungleicher verteilt als etwa im Jahr 2005. Und auch damals hatten die obersten 20 Prozent viermal so viel wie untersten 20 Prozent.

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