Gestresst, belastet, ausgebrannt

Rund 12.000 Angestellte beteiligen sich am Warnstreik des öffentlichen Dienstes

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 4 Min.

Sabrina Pinz bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Als Lehrerin an einer integrierten Sekundarschule in Berlin-Friedrichshain ist sie einigen Stress gewohnt. Doch so wie jetzt geht es für sie nicht weiter: »Ich bin ja nicht nur Lehrerin, ich bin auch Verwaltungsangestellte, Erzieherin und Sozialarbeiterin«, erzählt sie. Da das nötige Personal dafür fehle und es zusätzlich noch zu wenige Lehrkräfte an ihrer Schule gebe, könne sie ihrem Bildungsauftrag kaum noch gerecht werden. Deswegen hat sich die 32-Jährige dazu entschlossen, zum ersten Mal in ihrem Leben zu streiken.

Gemeinsam mit etwa 12 000 anderen Lehrer*innen, Erzieher*innen, Jugendamtsmitarbeiter*innen und vielen anderen Angestellten des öffentlichen Dienstes steht sie am Mittwoch auf dem Alexanderplatz, um für bessere Arbeitsbedingungen zu protestieren. Sechs Prozent mehr Lohn fordern die Gewerkschaften, mindestens jedoch 200 Euro und die Angleichung des Tarifvertrags der Länder (TV-L) an den des öffentlichen Dienstes (TVöD). »Mir geht es hauptsächlich um die Arbeitsbelastung, aber da hier nichts passiert, muss die Entlastung über das Gehalt passieren«, findet Sabrina Pinz. Seit zwei Jahren ist sie Lehrerin für Deutsch, Ethik und Philosophie in Berlin, für das nächste Schuljahr hat sie eine Stundenreduzierung beantragt. Lieber verzichtet sie auf einen Teil ihres Lohns, als in ein paar Jahren wie so viele ihrer Kolleg*innen aufgrund der hohen Arbeitsbelastung an Burn-Out zu erkranken. »Kaum einer schafft es bis ins Rentenalter«, erzählt sie.

So wie ihr geht es vielen Angestellten im öffentlichen Dienst. Anna Oelmann ist Erzieherin in einer Kita in Mitte. Auch sie würde das geforderte Gehaltsplus nutzen, um ihre Stunden zu reduzieren. Mit ihrem jetzigen Gehalt wäre das nicht möglich - obwohl sie in einer Wohngemeinschaft lebt und relativ wenig Miete zahlt. »Bei dem Stress wäre eine Reduzierung aber nötig«, sagt sie. Die Erzieherin war schon bei den letzten Streiks mit dabei, heute ist sie allein zur Demonstration gekommen. »Viele meiner Kollegen sind nicht hier, weil sie krank sind«, sagt sie. Auch das eine Folge der hohen Arbeitsbelastung.

Auch von Sabrina Pinz sind nicht alle Kolleg*innen gekommen. Nur rund ein Viertel der Lehrer*innen an ihrer Schule sind in den Streik getreten, schätzt sie. Die anderen sind entweder verbeamtet und dürfen nicht, oder sie wollen nicht, weil sie längst resigniert haben. »Viele denken, dass das nichts bringt«, berichtet ihre Kollegin Chris Jungklass. Für die erfahrene Deutschlehrerin keine Ausrede: »Ich bin nicht nur für mich hier, sondern für die ganzen Erzieher, die so schlecht entlohnt werden.« Aber auch, weil sie es ungerecht findet, dass sie nach 25 Jahren genauso viel verdient, wie neu eingestellte Kolleg*innen.

Die meisten hier wollen jedoch nicht mehr Geld, sondern mehr Personal. Das ist jedoch nur über mehr Lohn zu kriegen, glaubt Sabrina Pinz. »Ein Großteil der Lehramtsabsolventen verlässt Berlin, weil in anderen Bundesländern die Arbeitsbelastung niedriger ist. Dort haben sie weniger Stunden, verdienen aber mehr.« In der Folge fehlen an Berlins Schulen Hunderte Lehrkräfte. Die offenen Stellen werden mit Zeitarbeiter*innen besetzt, die oft nicht pädagogisch ausgebildet sind. »Die müssen wir dann einarbeiten, was eine zusätzliche Belastung ist«, klagt Pinz. Die gebürtige Hessin ist überzeugt, dass viele Lehrer*innen auf einen Teil ihres Gehalts verzichten würden, wenn dafür mehr Personal angestellt würde.

Während sich der Demonstrationszug unter einem Meer aus Gewerkschaftsfahnen Richtung Brandenburger Tor bewegt, tauschen sich die Streikenden über ihre Arbeitsbelastung aus und was dagegen getan werden müsste: »Die Kita-Plätze umsonst zu machen, war eine große Fehlentscheidung«, findet die Erzieherin Anna Oelmann. Das dadurch fehlende Geld hätte man in ihren Augen besser in die Ausbildung und höhere Erzieher*innengehälter stecken können. Nebenan fordern Schüler*innen auf einem Plakat saubere Schultoiletten. Wegen des Geldmangels gebe es an einigen Schulen keine Reinigungskräfte mehr, erklären die Lehrer*innen.

Mit diesem Sparzwang muss endlich Schluss sein, fordert Susanne Stumpenhusen, Leiterin von ver.di Berlin-Brandenburg. »Fehlende Kita-Plätze, Jugendämter am Limit, überlastete Bürgerämter und bei der Feuerwehr brennt die Luft«, zählt sie nur einige der Missstände im öffentlichen Dienst auf. Es sei an der Zeit, dass endlich richtig investiert wird und Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) ein gutes Angebot vorlegt: »Ich habe die Schnauze voll davon, dass alte Männer, die sich in ihrem Leben einen feuchten Kehricht um Kindererziehung gekümmert haben, bestimmen, was ihr wert seid«, ruft sie der pfeifenden Menschenmenge vor dem Brandenburger Tor zu.

Die Lehrerin Sabrina Pinz ist froh, dass sie mitgestreikt hat, trotz der Resignation vieler Demonstrierender: »Man konnte schon spüren, dass sich nur Wenige Hoffnung auf Besserung machen«, sagt sie. Aufgeben kommt für sie jedoch nicht infrage: »Sonst fahren wir die nachfolgenden Generationen an die Wand.«

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