Was so ein Streik aufbricht

Normalerweise sitzen Pendler schweigend in der Bahn, manchmal kommen sie dennoch ins Gespräch.

  • Stefan Fischer
  • Lesedauer: 3 Min.

Freitagmorgen, die aufgehende Sonne taucht die am Zug vorbeiziehende Landschaft in ein Licht, das an Frühling und Sommer erinnert. Die Stimmung ist ein wenig angenehmer als sonst - zum Freitag selbst kommt der Umstand, dass die Sitze im Großraumwagen noch ein wenig spärlicher belegt sind als sonst. Und dabei wird sogar kurz miteinander gesprochen.

Das ist in der Tat ungewöhnlich und wiederum einem ungewöhnlichen Umstand geschuldet: einem Streik. An einem normalen Pendlerwochentag wird zwar auch gestreikt, aber eben genau umgekehrt: Die menschliche Kommunikation in Form des Redens und des Sprechens der Reisenden untereinander wird bestreikt. Wer indes im Pendlerzug über die Frage »Ist hier noch frei« hinaus redet, outet sich blitzschnell als Eintagsfahrer. Und das sind diejenigen, die den regelmäßigen Pendlern das tägliche Zugfahren, nun ja, erschweren. Egal, ob es streitende Paare, Schulklassen, Fußballfans sind - sie alle setzen sich rigoros über die Schmerzgrenzen der Pendler hinweg.

Leider kann man ihnen in den wenigsten Fällen einen Vorwurf machen - wobei die Öffnung des ersten Bieres vor sieben Uhr in der Früh im Falle der Fußballfans nicht unbedingt dazu beiträgt, den Lärmpegel innerhalb des Zuges zu reduzieren. Die meisten Menschen verstehen leider die nonverbalen Zeichen nicht, die Ruhe und Nichtsprechbedürfnis ausdrücken sollen. Sie verstehen vielleicht die mündliche Ansprache - aber genau diese will man ja gerade vermeiden.

Und so versuchen Pendler tagtäglich ohne Worte in Zügen Zeichen zu setzen, dass ein Gespräch nicht erwünscht ist. Das beginnt beim zielstrebigen Einsteigen mit dem Aufsuchen des Stammplatzes. Die Verständigung mit den anderen Pendlerkollegen erfolgt allerhöchstens durch ein fast unmerkliches Zunicken, jeder weiß, welchen Platz der andere im Normalfall besetzt. Die Plätze liegen weit auseinander. Ungefähr acht bis zehn Sekunden später betreten die ersten Eintagsfahrer das Abteil. Diese Zeitspanne wurde bereits genutzt, um den Sitz neben sich mit einer Tasche oder einem Rucksack zu belegen. Die Eintagsfahrer versuchen nun zu erkennen, ob die Sitze im Abteil reserviert sind. Das ist oft ein vergebliches Unterfangen: Entweder ist die elektronische Anzeige nicht eingestellt oder aber sie zeigt dem Reisenden Informationen wie »bahn.comfort« oder »GGF. RESERVIERT« an: Welcher Fall ist denn nun gegeben? Während sich der Eintagsfahrer noch fragt, was das bedeutet, hat der bereits sitzende Berufspendler - der weiß die Anzeigen nämlich komfortabel zu deuten oder gegebenenfalls zu ignorieren - Folgendes ausgepackt: Laptop, Buch, Ladegerät, Stullenbüchse, Kopfhörer. Das sind sehr nützliche Gegenstände. Denn bis zur Abfahrt lassen sie sich neben ihrer ursprünglichen Bestimmung gut dafür nutzen, um sich herum eine Sperrzone zu schaffen.

Nun sind Pendler nicht per se Misanthropen. Sie reden vielleicht sogar gerne - nur eben gerade nicht um die Zeit und mit den Mitfahrern. Manchmal kommen aber doch Gespräche zustande - wie an diesem ungewöhnlichen Morgen, an dem in Berlin die BVG streikt. Ein Eintagsfahrer fragt nämlich just die Schaffnerin, ob und wie er denn mit seiner Fahrkarte vom Berliner Hauptbahnhof zum Flughafen Tegel komme. Als die Schaffnerin darauf keine wirkliche Antwort hat, bequemt sich einer der Vielfahrer zu einer Antwort: »Das wird nichts.« Es folgt dann die Erklärung, wie man doch zum Flughafen kommt. In knappen Worten. Denn man kann bei Streiks zwar mit Gewohnheiten brechen - aber man muss noch lange nicht viele Worte darum machen.

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