nd-aktuell.de / 23.02.2019 / nd-Commune / Seite 44

Von Leipzig nach El Paso und zurück

Fritz Rudolf Fries und seine Förderer in Leipzig und Göttingen

Jegliches Buch hat seine Zeit, und an manches erinnert man sich freundlich, ohne es je wieder zu lesen. Nicht so die Werke des 1935 in Bilbao geborenen Schriftstellers und Übersetzers Fritz Rudolf Fries, die schon durch ihre geschliffene Sprache und oft irrwitzigen Szenarien dem Zahn der Zeit widerstehen. Sein erster Roman, »Der Weg nach Oobliadooh«, erhielt in der DDR keine Druckgenehmigung und erschien 1966 bei Suhrkamp, was Fries die Arbeitsstelle bei der Akademie der Künste kostete. Erst 1989 kam er in die DDR-Buchläden, 2012 wurde er in die renommierte, von Hans Magnus Enzensberger herausgegebene »Andere Bibliothek« aufgenommen und damit gleichsam geadelt. Dazwischen lagen Romane und Erzählungen, Hörspiele und Features, Übersetzungen. Die spanischsprachige Literatur prägte sein Schreiben, die fábulas seiner Großmutter und die Populärkultur: Zeichentrick, Slapstick und Jazz. Der anarchische Witz Tex Averys schimmert durch, der magische Realismus und die Grotesken eines Jorge Luis Borges. Die Kunst der Anspielung musste er beherrschen, denn er stand unter Beobachtung.

1972 ließ er sich, damit ihm Reisen nach Spanien und Argentinien genehmigt wurden, auf eine inoffizielle Mitarbeit bei der Staatssicherheit ein, die 1985 endete. Mitte der 90er legte er diese Zusammenarbeit offen, was Verdikte und Ächtung nach sich zog. Seine Ämter legte er nieder, produktiv blieb er weiterhin. 2005 fand er im Leipziger Verlag Faber & Faber eine Heimstatt; 2011 übernahm der Göttinger Wallstein Verlag und arbeitet nunmehr zur Freude der Leser an weiteren Fries-Ausgaben. 2018 gründete sich in Leipzig die Fritz-Rudolf-Fries-Gesellschaft, die sich der Förderung der Literatur dieses Solitärs im ost- wie westdeutschen Literaturbetrieb verschrieben hat.

Sein letztes Buch, »Last Exit to El Paso«, ist ein Roadtrip, auf den sich zwei betagte Herren mit Groucho-Marx-Charme begeben - von rätselhaften Botschaften durch die Wüste gejagt, um etwas zu finden, was hier nicht verraten werden darf. Arlecq und Paasch, die Helden seines Erstlings »Der Weg nach Oobliadooh« unternehmen ihre letzte Reise, begleitet von den tückischen Disney-Raben Heckle und Jeckle, denen die beiden Alten in ihrer komischen Verbohrt- und Blasiertheit in nichts nachstehen.

»Blaubarts Besitz« ist eine Bibliomanen-Geschichte, bevölkert von ideologischen Ansprüchen und Devisengeschäften (Schalck-Golodkowski hat einen Auftritt), Dorfklatsch über den Frauenverzehrer Blaubart und Immobilienkriege im Nachwendedeutschland.

»Dienstmädchen und Direktricen« spielt im Berliner Nachwendemilieu: Einem obskuren osteuropäischen Frauentrio geht ein nicht minder obskurer Araber als Faktotum zur Hand, das Hotel »Zum Goldenen Strand« zu eröffnen. Ein obskurer Auftraggeber bezahlt, Nazi-Skins, eine türkische Hochzeitsgesellschaft und arabische Geheimdienstler treffen im Hotel aufeinander; es gibt eine wüste Schlägerei, und als die Polizei eintrifft, haben sich alle lieb. Alles läuft auf den Tag X zu - ein Staatsstreich, Terrorakt, die Wende von der Wende?

»Alles eines Irrsinns Spiel« kann als Bericht von einem Leben gelesen werden, das pure Groteske ist, wenn der Vater als Kaufmann in Spanien arbeitet, 1944 als Soldat eingezogen und von Partisanen getötet wird, nachdem die Familie »heim ins Reich« geholt wurde. Das Leben spielt in Sachsen und Berlin, doch schwingt die Möglichkeit einer spanischsprachigen Alternativexistenz mit, ein ungelebtes Leben, das in ein literarisches verwandelt wird. Ästhetik als Lebensmittel ist etwas, was in Deutschland immer auf Argwohn stößt, Fries erschafft aus dieser Haltung hinreißende Literatur. mps