nd-aktuell.de / 21.02.2019 / Politik / Seite 14

Beton kontra Landwirtschaft

Am Sonntag entscheiden die Freiburger über den Bau eines neuen Stadtteils

Dirk Farke, Freiburg

Auf den ersten Blick erinnert dieser Bürgerentscheid in Freiburg im Breisgau durchaus an den Kampf David gegen Goliath. Sämtliche Gemeinderäte, mit Ausnahme der Fraktion von Freiburg Lebenswert/Für Freiburg sowie einer Enthaltung - was einem Zahlenverhältnis von 43 zu fünf entspricht -, sind für den Bau des neuen Stadtteils. Eine bis dahin nicht gekannte Allianz aus Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften, Industrie- und Handelskammer, Hotel- und Gaststättenverband, Uniklinik, Diakonischem Werk, Studierendenwerk, der Agentur für Arbeit, Freiburg Wirtschaft Touristik und Messe sowie weiteren Institutionen erklärte in den letzten Wochen, warum sie die Betonierung wertvoller Grün-, Wald- und Ackerflächen im Ausmaß von 240 Fußballplätzen für unvermeidlich hält.

Aber das ist nur der Überbau; an der Basis sieht das Kräfteverhältnis anders aus. Sämtliche Wahlkampfveranstaltungen, sowohl der Gegner als auch der Befürworter, waren mehr als gut besucht. Und bei den Diskussionsveranstaltungen, bei denen beide Parteien gemeinsam auftraten, hielten sich Intensität und Länge des Beifalls nach einem Redebeitrag, bei dem die eigene Auffassung zum Ausdruck kam, stets die Waage. Selbst die »Badische Zeitung« (BZ), die mit ihrem Ableger »Der Sonntag in Freiburg« eine uneingeschränkte Monopolstellung auf dem hiesigen Zeitungsmarkt innehat und nie auch nur den geringsten Zweifel an der Notwendigkeit des neuen Stadtteils aufkommen ließ, kam nach dem Bürgerbegehren nicht umhin, »eine zunehmende Nervosität bei den Verantwortlichen der Stadt« zu konstatieren.

Und die äußerte sich zum Beispiel so: Am 27. November kündigt Freiburgs Finanzbürgermeister Stefan Breitner (CDU) im Gemeinderat an: »Wenn die Dietenbachgegner am 24. Februar gewännen, würden am Tag danach alle Mieten in Freiburg erhöht!« Lothar Schuchmann, Stadtrat der Unabhängigen (linken) Liste, ist überzeugt, wer gegen den neuen Stadtteil stimmt, votiert gleichzeitig für mehr Obdachlosigkeit. »Ja (d.h. wenn die Grün- und Waldflächen erhalten bleiben) heißt: Eintreten für mehr soziale Ungerechtigkeit, für mehr Elend - wie schön - wollen Sie das wirklich?« Auf persönliche Nachfrage von »nd« fügt Schuchmann hinzu: »Natürlich ist das alles sehr schlimm, die Landwirte und die Kleingärtner zu enteignen, natürlich ist dieser Stadtteil eher etwas für unsere Enkel, aber wenn Dietenbach nicht gebaut wird, werden auch die Obdachlosen, für die ich mich persönlich immer sehr engagiert habe, immer weiter nach außen gedrängt.«

Derartige Äußerungen veranlasste die Herausgeber der BZ offensichtlich dazu, noch einmal nachzulegen. Ende Januar veröffentlichten sie die von ihnen in Auftrag gegebene und finanzierte Umfrage eines Leipziger Marktforschungsinstitutes aus der sich - wen kann es überraschen - ergibt: Eine klare Mehrheit (58 Prozent) will den neuen Stadtteil. Aber viel wichtiger ist: Je niedriger der Bildungsgrad, desto geringer die Zustimmung.

Ist Freiburgs Bürgerschaft wirklich so dumm, wie sie hier verkauft werden soll? Auch die Gegner des neuen Stadtteils von der Größe einer Kleinstadt sind angesichts der prekären Situation auf dem hiesigen Wohnungsmarkt nicht gegen den Bau neuer Wohnungen. Nur statt den Lebensraum von rund 50 Brutvogelarten zu zerstören und der regionalen Landwirtschaft den Garaus zu machen, favorisiert die Bürgerinitiative (BI) »Rettet Dietenbach« eine umsichtige innerstädtische Entwicklung. Dies schaffe, so Manfred Körber, einer von drei Vertrauensleuten der BI, mehr billigeren und vor allem schneller dringend benötigten Wohnraum.

Für die Aktivisten heißt dies nicht nur Dachaufstockung vorhandener Wohnhäuser sowie Parkplatzbebauung, sondern auch ein konsequentes Verbot der vielen illegalen Ferienwohnungen sowie die Vermietung der vielen Leerstände. »Anstatt die Wohnungsnot zu lösen, will die Verwaltung Freiburg als Immobilienstandort attraktiv machen«, argumentiert Körber. Und in der Tat, auch nach dem Bau des Stadtteils »Rieselfeld« - damals noch gegen den Widerstand einer grünen Oppositionspartei -, in dem heute knapp 10 000 Menschen wohnen und für den zwischen 1993 und 1996 insgesamt 78 Hektar ökologisch wertvolle Fläche versiegelt wurden, stiegen die Mieten immer weiter. Selbiges galt Anfang der 2000er Jahre beim Bau des Stadtteils Vauban.

Einerseits ist die Bevölkerung hier außerordentlich sensibel in Bezug auf jahrzehntelangen Wohnungsmangel und daraus resultierende völlig überteuerte Mieten. Andererseits gelang es in den letzten Monaten den von Enteignung bedrohten Landwirten, Klimaaktivisten, Natur- und Landschaftsschützern, auf die Folgen der Betonierung von 110 Hektar ökologisch wertvoller Grün- und Landwirtschaftsflächen aufmerksam zu machen. Es wird ein sehr knappes Ergebnis am Sonntag.