• Berlin
  • Enteignung von Immobilienunternehmen

Ein Gespenst geht um in Berlin

Unter dem Motto «Welcome back Sozialismus?» diskutieren SPD und Grüne über Enteignung

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Initiative für die Enteignung großer Wohnungsbaukonzerne hat Kapital- und Lobbyverbände mittlerweile in helle Aufregung versetzt. Im April soll die Unterschriftensammlung für ein entsprechendes Volksbegehren beginnen. Umfragen deuten darauf hin, dass mit großer Zustimmung zu rechnen ist.

Für den Verband Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI), ein weitläufiges Netzwerk der Berliner Wirtschaft, ist das eine Horrorvorstellung. Unter dem Motto «Welcome back Sozialismus?» lud der Verein am Mittwochabend zu einer Podiumsdiskussion mit Publikumsbeteiligung in das Ludwig-Erhard-Haus in Charlottenburg ein. Gemeinsam wolle man Wege ausloten, «wie sich zwischen staatlichem Interventionismus und dem freien Spiel der Kräfte» ein Weg aus der Krise auf dem Wohnungsmarkt finden lasse, so VBKI-Präsident Markus Voigt.

Für das Podium waren allerdings weder Vertreter der Initiative «Deutsche Wohnen & Co enteignen» noch der LINKEN, die das Volksbegehren als einzige Partei unterstützt, eingeladen worden. Deren Positionen seien «bekannt und auch ziemlich konsistent», und man halte sie für «grundfalsch» sagte Voigt zur Begründung dem «nd». Bei der Diskussion wolle man aber herausfinden, «was die anderen Berliner Regierungsparteien bei dieser Frage umtreibt», denn bislang vermisse man von den Grünen und von der SPD ein «klares Stoppsignal».

Diese Erwartung wurde an diesem Abend erfüllt. Eva Högl, Berliner Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, schloss die Enteignung von Wohnungsbeständen als Mittel gegen explodierende Mieten kategorisch aus. Das «schafft keine neue Wohnung und ist auch nicht bezahlbar», so Högl. Auf Nachfrage wollte sie auch nicht ausschließen, dass der Bund im Falle eines erfolgreichen Volksbegehrens in Berlin interveniert und entsprechende Schritte unterbindet. Auf der anderen Seite müsse man aber zur Kenntnis nehmen, dass es nicht nur in Berlin dringenden Handbedarf gebe, denn man merke, «dass es die Hauptsorge der meisten Menschen ist, ob sie ihre Wohnung behalten können». Oberste Priorität sei «bauen, bauen, bauen». Das könne aber erst nach einiger Zeit Wirkung erzielen, daher müssten auch kurzfristig Lösungen gefunden werden. Högl warb für den von ihr mitinitiierten Vorstoß für zeitlich begrenzte Mietobergrenzen in Stadtteilen mit besonders angespannter Wohnungslage. Ob dies rechtlich umsetzbar wäre, wird derzeit vom Senat geprüft. Kritik äußerte Högl an der schleppenden Neubaupolitik des Berliner Senats und einiger Bezirke, die sie den Koalitionspartnern Grünen und LINKE anlastet.

Auch Daniel Wesener, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, äußerte sich kritisch zu dem geplanten Volksbegehren. Zwar könnten Enteignungen und Vergesellschaftungen auf Grundlage der Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes «kein Tabu sein». Doch aufgrund der juristischen Unwägbarkeiten und der zweifelhaften Finanzierung sei die Initiative «nicht zielführend, obwohl wir deren Ziele teilen». Ohnehin habe das Volksbegehren nur einen rechtlich unverbindlichen Beschluss und kein Enteignungsgesetz zum Inhalt. Wenn es dazu komme, werde der Senat das prüfen, «und wenn es nicht realisierbar ist, dann gibt es auch kein Gesetz», so Wesener. Seine Partei stehe sowohl für regulatorische Eingriffe in den Wohnungsbestand als auch für Neubau, vorzugsweise mit «Non-Profit-Akteuren». Dazu brauche man alle Instrumente, auch den Rückkauf von privatisierten Beständen. Sofern dieser «wirtschaftlich vertretbar ist, denn »wir finanzieren nicht die Profite der Spekulanten«. Einen endgültigen Beschluss seiner Partei zum Volksbegehren soll es jedoch erst nach dem Landesparteitag Anfang April geben.

VBKI-Präsident Voigt zeigte sich zwar erleichtert über die Absagen von Grünen und SPD an das Volksbegehren, sieht die Enteignungsdebatte aber dennoch als »brandgefährliches Signal«, mit dem »an den Grundfesten der Bundesrepublik gerüttelt wird«. Enteignungen müssten prinzipiell tabu sein, »sonst können wir den Laden bald schließen«, weil es einen Exodus von Investoren geben werde, mahnt Voigt. Er lehnt auch Mietendeckelungen und Rückkäufe zu »absurden Preisen« ab. »Eingriffe am Ende der Wertschöpfungskette sind der völlig falsche Weg«, sagt er. Das Problem seien der schleppende Neubau und vor allem die vielen Hemmnisse in den Genehmigungs- und Planungsverfahren. Und natürlich müsse auch die Wirtschaft »die Sorgen und Ängste der Bevölkerung ernstnehmen«, heißt es in seinem eher versöhnlichen Schlusswort.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal