Gedenken im Stadtbild

In mehreren Bezirken hat der Künstler Gunter Demnig Stolpersteine verlegt

  • Marion Bergermann
  • Lesedauer: 3 Min.

Etwa zehn Minuten dauert es, dann hat der Künstler Gunter Demnig den Stolperstein in den Bodenbelag eingepasst und befestigt. Einige Interessierte, die zur Verlegung in die Alexandrinenstraße in Kreuzberg gekommen sind, machen Fotos und schauen zu. Auch ein Angehöriger der Frau, deren Name auf den Stolperstein gestanzt ist, um an sie zu erinnern, ist da. »Sie war die Schwester von meinem Opa«, erzählt er. Seine Großtante Else Auerbach wurde 1902 geboren und lebte mit ihrem Ehemann in der Kleinen Alexanderstraße, die heute Alexandrinenstraße heißt. Im März 1943 wurden die beiden nach Theresienstadt deportiert und im Oktober 1944 in Auschwitz ermordet.

Dass es nun einen Gedenkstein gibt, der an Else Auerbach erinnert und, wie bei fast allen Stolpersteinen, an dem letzten selbstgewählten Wohnort angebracht wurde, geht auf ihre Verwandtschaft zurück. Ihr in Berlin wohnender Großneffe erzählt nach der Verlegung, dass er Besuch von einem Verwandten aus Israel gehabt habe. Dieser habe gefragt, was die Stolpersteine sind, woraufhin ihm erklärt wurde, was es damit auf sich hat. Der Cousin aus Israel fand das Projekt gut, und da die israelischen Verwandten wussten, wo Else Auerbach in Berlin gewohnt hatte, wandten sich der Großneffe und seine Partnerin an die im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zuständige Stolperstein-Initiative.

Insgesamt 13 Steine wurden am Donnerstag in Berlin in Gehwege eingelassen. Laut der Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin wurden die Mini-Denkmäler außer in Kreuzberg und in Friedrichshain auch in Lichtenberg und Prenzlauer Berg verlegt. Vier weitere Stolpersteine sollen an diesen Samstag im Ortsteil Friedenau verlegt werden.

Das macht Gunter Demnig in den allermeisten Fällen selbst. Er hat das Projekt in den 1990er Jahren initiiert, in Berlin verlegt er die Steine seit 1996. Früher stellte Demnig die kleinen Betonklötze mit Messingplatte auch selbst her. Seit 2005 macht das ein befreundeter Künstler, Michael Friedrichs-Friedlaender, für ihn, berichtet Sören Schneider, Mitarbeiter der Koordinierungsstelle Stolpersteine.

Über die Jahre sind so einige hergestellte Erinnerungssymbole und Verlegungen zusammengekommen, mehr als 8200 waren es laut Koordinierungsstelle allein in der Hauptstadt. Weltweit sind es mittlerweile rund 70 000 Steine in 24 Ländern. In Berlin finanzieren meist die Bewohner*innen der Häuser, von denen aus die Betroffenen deportiert wurden, oder andere Privatpersonen die Herstellung des Stolpersteins. »Wir haben relativ oft Anfragen von Leuten, die unterstützen wollen«, sagt Schneider. Nachdem im November 2017 mutmaßlich Rechtsextreme in der Neuköllner Hufeisensiedlung kurz vor dem Jahrestag der Reichspogromnacht 16 Stolpersteine aus den Gehwegen gerissen und gestohlen hatten, sei das Spendenaufkommen besonders hoch gewesen, berichtet Schneider.

Abgesehen von diesem bürgerschaftlichen Engagement gibt es jedoch kaum öffentliche Gelder. Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ist der Einzige, der die symbolträchtigen Steine finanziert, wenn Angehörige die Verlegung anstoßen.

Ganz unumstritten ist dieses Gedenken im Stadtbild nicht. Mit den Kontroversen beschäftigt sich eine Tagung, die von Donnerstag bis Freitag stattfindet. Unter dem Titel »Steine des Anstoßes oder normiertes Ritual? Zur Rolle des Stolperstein-Projekts in den Erinnerungskonflikten der Gegenwart« diskutieren Wissenschaftler*innen aus der ganzen Welt in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Laut Veranstalter*innen geht es darum, inwieweit diese partizipative Erinnerungsform zu einem undurchdachten Mitmachprojekt wird. Und ob es so zu einer lediglich »als entlastend wahrgenommenen Vergangenheitsbewältigung« kommt.

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