nd-aktuell.de / 22.02.2019 / Politik / Seite 6

Modernisierer geht als Favorit ins Rennen

Bei den Präsidentschaftswahlen in Senegal spricht trotz Korruptionsvorwürfen vieles für den Amtsinhaber Macky Sall

Odile Jolys, Dakar

Wahlausweise und Wahlbüros sollen die Senegalesen in Brand setzen, so will es Abdoulaye Wade, ehemaliger Präsident Senegals. Der 90-jährige Veteran ist sauer. Die Kandidatur seines Sohnes Karim Wade wurde für ungültig erklärt. Sein Sprössling lebt im Exil in Katar. Er war wegen Veruntreuung von öffentlichen Geldern verurteilt und später vom Präsidenten Macky Sall begnadigt worden.

Auf die Drohungen des alten Mannes folgte von allen Seiten der Aufruf zur Ruhe. Die Wahlkampagne ist schon hitzig genug. Mindestens ein Toter und Dutzende Verletzte sind bei Auseinandersetzungen zwischen Anhängern verschiedener Parteien zu beklagen. Grund für die Spannungen ist das neue Wahlgesetz, das die Anzahl der zugelassenen Kandidaten stark reduzierte. Wut herrscht auch bei den Anhängern von Khalifa Sall, dem ehemaligen Bürgermeister Dakars, der seit zwei Jahren im Gefängnis sitzt. Er galt als wichtigster Herausforderer und wurde wie Karim Wade nicht zur Wahl zugelassen.

Vier Herausforderer sind dem Amtsinhaber geblieben. Macky Sall gilt indes weithin als Favorit. Er steht für die Modernisierung der Wirtschaft und kann auf dem Gebiet eine starke Bilanz vorweisen. Idrissa Seck, ehemaliger Premierminister unter Wade, wird als stärkster Gegenkandidat gehandelt. Er sammelte bislang die meisten Unterstützer unter Kandidaten und Parteien ein, die selber nicht zur Wahl zugelassen wurden. Auch Khalifa Sall hat Seck seine Unterstützung zugesagt.

Madické Niang kommt aus der PDS, der Partei von Wade. Als das Scheitern der Kandidatur Karim Wades vorherzusehen war, entschied er sich für einen Alleingang mit wenig Aussicht. Professor Issa Sall tritt für die PUR an. PUR ist zwar nicht offen religiös, weil dies im laizistischen Senegal verboten ist, doch sie steht einer islamischen Bruderschaft nahe, was laut vielen Beobachtern ihr Wählerpotenzial begrenzt.

Der Shootingstar der Wahlen ist Ousmane Sonko. Mit 44 Jahren ist er der jüngste Widersacher Macky Salls. Er trat erstmals bei den Parlamentswahlen 2017 an und gewann ganz knapp einen Sitz. Als leitender Beamter im Steueramt machte er sich einen Namen, als er korrupte Praktiken öffentlich machte, was seinen Ausschluss aus dem Amt zur Folge hatte. Er ist der Kandidat gegen das System und findet viel Gehör bei Studenten, Aktivisten und einem Teil der urbanen Mittelklasse, die die Bereicherung der alten Politikerkaste satt haben und auf eine bessere Regierungsführung hoffen.

Macky Sall hat in der Frage der Korruption die Hoffnungen enttäuscht. Die Vergabe eines Vertrags zur Ausbeutung von Ölvorkommen an eine erst kürzlich von seinem Bruder gegründete Firma hat für viel Ärger im Land gesorgt. 2012 gewann er die Präsidentschaftswahlen gegen Wade, weil Opposition und Zivilgesellschaft Korruption und Klüngel satt hatten. Macky Sall versprach, es besser zu machen.

Alle vier Oppositionskandidaten spielen nun mit dieser Enttäuschung und bieten in ihren Programmen ähnliche institutionelle Reformen an, die die Korruptionsbekämpfung voranbringen sollen. »Wir haben schon etwas erreicht. Die Frage der guten Regierungsführung mobilisiert die Menschen«, sagt der Sprecher von Ousmane Sonko, Cheick Tidiane Fall, der selber als Vertreter der Zivilgesellschaft bei der Abwahl von Wade 2012 engagiert war. »Ob Macky Sall die Wahl gewinnt oder nicht, er wird nicht ignorieren können, dass es einen wachsenden Widerstand gegen die Korruption in der Gesellschaft gibt«, gibt er sich zuversichtlich.

Macky Sall hat gute Karten, um zu gewinnen: Die häufigen Stromausfälle, die zur Abwahl von Wade mit beigetragen haben, sind selten geworden. Das Wirtschaftswachstum bewegt sich auf Rekordniveau. Dieses Jahr sollen es mehr als sieben Prozent werden. Im Land wachsen Brücken, Straßen, Häfen und neue Städte wie Pilze aus dem Boden.

Zulauf hat Macky Sall unter der Elite und der gut integrierten Mittelklasse in den Städten, die von Wachstum und Modernisierung der Wirtschaft profitieren. Aber auch einfache Menschen haben Vertrauen, dass das Land auf der richtigen Spur ist. »Er soll seinen Job fertig machen«, sagen viele, die ihm eine zweite Amtszeit wünschen. Amadou, Taxi-Fahrer im Großraum Dakar, lobt die neue Autobahn, die Dakar und Touba, die heilige Stadt der Muriden und zweitgrößte Stadt Senegals, verbindet. Er spricht auch von der Wasserversorgung in seinem Dorf. Auf dem Land geht die Elektrifizierung voran. Und insgesamt 400 000 arme Haushalte sollen einen Familienzuschuss (38 Euro jeden dritten Monat) bekommen.

»Wir sind nicht gegen die Modernisierung«, erklärt Cheick Tidiane Fall. »Entwicklung braucht Infrastruktur, aber die Auswahl der Projekte ist problematisch«, fügt er hinzu. Er erläutert es am Beispiel des Schnellzugs TER des französischen Transportkonzerns Alstom. Er soll auf einer 50 Kilometer langen Strecke im Großraum Dakar fahren. Er sei zu teuer für ein Land, das zu den am wenigsten entwickelten Länder der Welt zählt. Mit dem Geld hätte man mehr normale Zugkilometer bauen und insbesondere die Bahnstrecke Dakar-Bamako reaktivieren können.

Es gibt Misstrauen im Land gegenüber der Modernisierungspolitik. Ein alter Mechaniker im Großraum Dakar fragt: »Wir sehen die Entwicklung. Aber es ist eine Entwicklung ohne Einkommen. Wo ist der Fortschritt?« Laut einer Umfrage wollen die Menschen mehr Arbeitsplätze und eine bessere Gesundheitsversorgung. Im Dezember 2018 versetzte die Nachricht vom Tod eines Frauenarztes in Kolda das Land in Aufregung. Es war der einzige Frauenarzt der 750 000-Einwohner-Region.