nd-aktuell.de / 06.03.2019 / Ratgeber / Seite 19

Die Urlaubsansprüche erlöschen nicht

Bundesarbeitsgericht über verfallene Urlaubstage

Mit welcher Ausgangslage mussten sich die Erfurter Richter beschäftigten?

Sie mussten die Frage klären, ob und wie umfassend Arbeitgeber Angestellte im Vorfeld vor dem Verfall von Urlaubsansprüchen warnen müssen. Dabei stellte sich die Frage, welche Fürsorgepflichten der Arbeitgeber hat, den Arbeitnehmer möglichst anzuhalten, tatsächlich den Erholungsurlaub noch zu nehmen. Und wie weit geht diese Pflicht?

Worin bestand der konkrete Streitfall?

Geklagt hatte ein Wissenschaftler, der 51 Tage Urlaub bezahlt haben möchte, die er bis zum Ende seines Arbeitsvertrages nicht mehr genommen hatte. Beklagte war die Max-Planck-Gesellschaft München, bei der der Wissenschaftler nach den Tarifregeln des Öffentlichen Dienstes angestellt war. Die Max-Planck-Gesellschaft gab an, den Wissenschaftler per E-Mail bereits im Mai 2013 auf seine Urlaubsansprüche hingewiesen zu haben. Der Wissenschaftler bestritt dagegen, eine solche E-Mail bekommen zu haben. In einem früheren Urteil des Landesarbeitsgerichts München (Az 8 Sa 982/14) war von einer Urlaubsabgeltung in Höhe von fast 12 000 Euro die Rede. Der Fall lag auch schon beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Das Bundesarbeitsgericht musste dessen Rechtsprechung nun berücksichtigen. Bereits im November 2018 hatte sich EuGH (Az. C-684/16) mit diesem Thema befasst.

Wie haben die EuGH-Richter damals entschieden?

Nach Ansicht von Experten hat der EuGH Arbeitnehmern grundsätzlich den Rücken gestärkt. Arbeitnehmer müssen durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt werden, ihren Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Allerdings habe der EuGH nicht entschieden, dass der Arbeitgeber seinen Beschäftigten zwangsweise Urlaub anordnen muss. Das Bundesarbeitsgericht musste nun klären, wie genau sich das Urteil des EuGH auf die Rechtspraxis in Deutschland auswirkt.

Wie entschieden Richter des Erfurter Bundesarbeitsgerichts?

Arbeitgeber müssen ihre Beschäftigten künftig auffordern, noch nicht beantragten Urlaub zu nehmen und darauf aufmerksam machen, dass er sonst verfällt. Unternehmen müssen ihre Angestellten »klar und rechtzeitig« auf nicht genommenen Urlaub hinweisen. Wann ein Hinweis rechtzeitig kommt, dazu trafen die Bundesrichter noch keine Entscheidung.

Der vorsitzende BAG-Richter Henrich Kiel interpretierte bereits vor der Urteilsverkündung die Entscheidung des EuGH. »Der Urlaub soll genommen werden, und er soll genommen werden im Urlaubsjahr.« Dies sei auch das Anliegen des Bundesurlaubsgesetzes. Allerdings habe der EuGH nicht entschieden, dass der Arbeitgeber seinen Beschäftigten zwangsweise Urlaub anordnen muss. Dem trug das Bundesarbeitsgericht in Erfurt Rechnung. Auch nach der Erfurter Entscheidung kann Urlaub verfallen - jedoch nicht automatisch.

Welche Folgen aus dem BAG-Urteil sind nun für Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu erwarten?

»Für Arbeitgeber bedeutet die Entscheidung auf jeden Fall erheblich mehr Aufwand«, so der Tübinger Arbeitsrechtler Hermann Reichold. Arbeitgeber müssen künftig stärker darauf achten, bei der Urlaubsgewährung alle im Boot zu haben - und nicht nur diejenigen, die einen Urlaubsantrag stellen. Stellte ein Arbeitnehmer nach bisheriger Praxis keinen Urlaubsantrag, konnten seine Ansprüche verfallen. Aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts ergeben sich zwangsläufig Anforderungen an Arbeitgeber.

Die Erfurter Richter ließen allerdings offen, wie oft Arbeitgeber ihre Beschäftigten informieren müssen. »Die sicherste Variante dürfte wohl sein, einfach mit der Lohnabrechnung monatlich zu informieren«, sagte BAG-Sprecher Oliver Klose. Möglicherweise müssen Arbeitgeber auch noch sicherstellen, dass die Information auch tatsächlich beim Arbeitnehmer angekommen ist.

»Ich würde Arbeitnehmern raten, verfallen geglaubte Urlaubsansprüche nachzufordern, solange es keine tarifliche Verfallsklausel oder eine Verjährung der Ansprüche gibt«, rät der Arbeitsrechtler Reichold. Auch der BAG-Sprecher Oliver Klose verwies nach der Verkündung des »arbeitnehmerfreundlichen Urteils« darauf: »Arbeitnehmer können jetzt prüfen, ob sie vielleicht doch noch Anspruch auf Urlaub haben, von dem sie dachten, er sei verfallen.« dpa/nd