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Durchhalteparolen und Schuldzuweisungen

Der anhaltende Stromausfall in Venezuela droht den politischen Machtkampf im Land weiter zu verschärfen

  • Tobias Lambert
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach mehr als drei Tagen ist der massive Blackout in Venezuela noch immer nicht behoben. Während der Strom in der Hauptstadt Caracas und einzelnen Regionen mehrfach vorübergehend zurückkehrte, blieb es seit Donnerstag Nachmittag vielerorts durchgehend dunkel. Explosionen an mehreren Transformatorstationen verschärften die Probleme zusätzlich. Auch die Wasserversorgung funktionierte häufig nicht, da die elektrischen Pumpen ausfielen.

Wie schon den Freitag erklärte die Regierung auch den Montag zum arbeitsfreien Tag. Schulen, Behörden und die meisten Geschäfte blieben geschlossen. Laut Berichten in Medien und sozialen Netzwerken soll es an mehreren Orten vereinzelt zu Plünderungen gekommen sein. Auch werden zahlreiche Todesfälle in Krankenhäusern direkt auf den Stromausfall zurückgeführt. Unabhängig überprüfen lassen sich die Informationen jedoch nicht.

Der wohl größte Stromausfall der venezolanischen Geschichte ereignet sich mitten in dem seit Januar andauernden Machtkampf zwischen Präsident Nicolás Maduro und seinem Widersacher Juan Guaidó. Die Ursache ist nach wie vor unklar. Die Regierung spricht von Sabotage. Der US-Regierung wirft sie vor, einen »elektrischen Krieg« gegen Venezuela zu führen und das Stromnetz per Cyberangriff lahmgelegt zu haben. Die Opposition hingegen macht Korruption und die Ineffizienz der Regierung verantwortlich. Da sich beide Seiten jeweils in ihren grundlegenden Ansichten bestätigt sehen, ohne ihre Behauptungen zu belegen, droht der Blackout den politischen Machtkampf weiter zu verschärfen.

Guaidó erklärte einen Cyberangriff am Sonntag für unmöglich, da das System veraltet sei und analog betrieben werde. Der Stromausfall sei durch ein Buschfeuer ausgelöst worden, das mehrere Hochspannungsleitungen beschädigt habe, die zwischen dem wichtigsten venezolanischen Wasserkraftwerk Guri im Süden des Landes zu zwei Umspannwerken verlaufen. Dies habe dazu geführt, dass die Turbinen herunterfuhren. »Fehlende Wartung macht das System anfällig für diese Art von Bränden«, beteuerte er. Um das System wieder zum Laufen zu bekommen, benötige man »qualifiziertes Personal«, das beim staatlichen Energieversorger Corpoelec aufgrund der verfehlten Regierungspolitik nicht mehr verfügbar sei.

Guaidó hatte angekündigt, am Montag den nationalen Notstand erklären und sich mit den Unternehmen in Deutschland, Argentinien, Japan und Kolumbien austauschen zu wollen, deren Technologie in Venezuela verwendet werde. Zudem habe er sich mit Energieexperten aus mehreren Ländern in Verbindung gesetzt, so der Oppositionsführer. Das weitgehend entmachtete Parlament wollte am Montag Mittag (Ortszeit) zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um sich mit dem Stromausfall zu beschäftigen. Am Samstag hatte Guaidó angekündigt, demnächst durch einen »Marsch auf Caracas« den Druck auf Maduro erhöhen zu wollen. Dabei hatte er erneut ausdrücklich eine mögliche US-Militärintervention ins Spiel gebracht.

Die Regierung Maduro verkündet derweil vor allem Durchhalteparolen. Das staatliche Energieunternehmen Corpoelec rief die Bevölkerung dazu auf, zur Stabilisierung der Versorgung nur die nötigsten Elektrogeräte anzuschließen und auf Klimaanlagen, Mikrowellen oder Trockner zu verzichten. Konkrete Angaben darüber, bis wann die Energieversorgung wieder komplett hergestellt werden könne, machte die Regierung nicht. Hatte Energieminister Luis Motta Domínguez am vergangenen Donnerstag noch versichert, der Stromausfall werde innerhalb von drei Stunden behoben, erklärte Verteidigungsminister Vladimir Padrino López am Sonntag, es sei »noch viel zu tun, um das Stromnetz zu stabilisieren«. Die Bevölkerung rief er zur Ruhe auf.

Die Glaubwürdigkeit Guaidós, der USA und ihrer Verbündeten hat derweil durch eine Veröffentlichung der »New York Times« Kratzer bekommen. Die US-amerikanische Tageszeitung bestätigte in einer akribischen Recherche, was linke und alternative Medien bereits vor Wochen berichtet hatten: Die am 23. Februar an der venezolanisch-kolumbianischen Grenze ausgebrannten Lastwagen mit Hilfsgütern waren demnach durch einen Molotow-Cocktail entzündet wurden, den ein Oppositionsanhänger geworfen hatte. An diesem Tag hatte Guaidó gegen den Willen der Maduro-Regierung die Einfuhr von Hilfsgütern erzwingen wollen, um das venezolanische Militär zum Überlaufen zu provozieren. Die rechte Opposition in Venezuela, die Regierungen Kolumbiens und der USA sowie die meisten internationalen Medien hatten die an der Grenze stationierte venezolanische Nationalgarde für den Vorfall verantwortlich gemacht und diesen als vermeintlichen Beleg für die Grausamkeit der Maduro-Regierung gewertet.

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