nd-aktuell.de / 20.03.2019 / Kultur / Seite 43

Zeugenaussagen, die Gold wert sind

Jörn Schütrumpf hat den unterschlagenen Bericht eines preußischen Untersuchungsausschusses über die Januar-Unruhen 1919 ediert

Klaus Gietinger

Der Friseur Julius Meyer machte seine Aussage: Zur Besetzung des »Vorwärts« habe ein Mann namens Alfred Roland mehrfach während der Massendemonstration am 6. Januar 1919 aufgerufen. Tatsächlich geschah dies dann auch und war sozusagen die Geburt des Mythos vom »Spartakusaufstand«.

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Jörn Schütrumpf (Hg.): »Spartakusaufstand«. Der unterschlagene Bericht des Untersuchungsausschusses der verfassunggebenden Preußischen Landesversammlung über die Januar-Unruhen 1919 in Berlin.[1]
Karl Dietz, 640 S., geb., 49 €.

Roland war Mitglied des Roten Soldatenbundes, also ein Spartakist - also alles belegt? Doch Roland hatte wiederum zugegeben, auch im Dienste des Stadtkommandanten Anton Fischer (SPD) gestanden zu haben, eines ehemaligen Franziskanermönchs. Hatte der etwa dazu aufgerufen, die Zeitung seiner eigenen Partei zu besetzen? War Roland vielleicht ein Agent Provocateur?

Das wollte das einzige Mitglied der USPD im Untersuchungsausschuss zu den Januarunruhen 1919, Rechtsanwalt Kurt Rosenfeld, nun genauer wissen und fragte seinen Kollegen im Untersuchungsausschuss, den leitenden Staatsanwalt Robert Weismann, ob Roland vielleicht ein Spitzel sei. Vermutlich ohne rot zu werden, verneinte Weismann dies. Und mindestens Rosenfeld wusste, der spätere Staatskommissar für die öffentliche Ordnung hatte gelogen.

Das Protokoll des Untersuchungsausschusses ist voll von solchen Belegen, nämlich dass der »Spartakusaufstand« kein Spartakusaufstand war. Nur hat fast niemand dieses knapp 600 Seiten lange Protokoll gelesen. Auch viele Historiker haben es schlicht ignoriert, obwohl sie es im Anhang ihrer Bücher auflisten. Ein Protokoll, das bislang in wenigen Exemplaren, die langsam ob ihres hohen Holzgehaltes verfielen, versteckt in deutschen Archiven vor sich hinschlummerte. Jetzt hat Jörn Schütrumpf es gehoben, fein säuberlich gescannt, mit einem äußerst nützlichen und ausführlichen Register und Vorwort versehen und in einem Faksimile-Nachdruck herausgebracht.

Zweifellos war dieser Untersuchungsausschuss - vom Geruch der Siegerjustiz umweht - einseitig und parteiisch. So leugnete er etwa in seiner Zusammenfassung den versuchten Putsch der Obersten Heeresleitung (OHL) am 10. Dezember 1918 und schob der Vollversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte im März 1919 (bestehend aus SPD, USPD und KPD) falsch unter, sie habe mit ihrem Generalstreikbeschluss »die Beseitigung der Regierung, die Aufhebung der Nationalversammlung« und die »Diktatur des Proletariats« gewollt. Dennoch sind die zahlreichen Zeugenaussagen Gold wert.

Die meisten Protagonisten in diesem Verfahren sind heute so gut wie unbekannt, und doch sind bemerkenswerte Akteure darunter. Auf der Frager-Seite zum Beispiel Regierungsrat Georg von Doyé, der im März 1919 zusammen mit Waldemar Pabst die Zeitungsente von den Lichtenberger Polizistenmorden verbreitet hatte und so Pabst und Noske die Möglichkeit gab, Massaker zu inszenieren. Doyé wie Pabst beteiligten sich dann 1920 auch am Kapp-Putsch. Oder Major Kurt von Hammerstein-Equord, später einer der Steigbügelhalter Hitlers, der die Brutalität der Freikorps mit angeblich vorher begangenen Gewalttaten der Matrosen und Arbeiter zu begründen suchte, oder der Hindenburg-Bewunderer, Annexionist und Sozialdemokrat Ernst Heilmann, der noch 1917 den Parlamentarismus (allerdings von rechts) abgelehnt hatte.

Auf der Zeugenseite steht zum Beispiel Erich Eichhorn (USPD), der Ex-Polizeipräsident von Berlin, dessen Absetzung den Januaraufstand ausgelöst hatte und der sich jetzt (versehen mit einem Freien-Geleit-Brief Noskes) nichts anhängen ließ. Auch Karl Grünberg, später Schriftsteller in der DDR, der seine Abteilung der Republikanischen Schutztruppe für den Januaraufstand hatte gewinnen wollen, wand sich vortrefflich heraus. Aber auch mit diesen Aussagen wurde klar: Der Januaraufstand war eine spontane Erhebung, hauptsächlich getragen von Teilen der USPD sowie den Revolutionären Obleuten und eben nicht zentral von den »Spartakisten«.

Auch die Massaker an den »Vorwärts«-Parlamentären - sieben Besetzer, die mit weißer Fahne hatten verhandeln wollen - kamen in allen Einzelheiten durch Zeugen zur Sprache. Und kaum hatte Heilmann es geschafft, den Zeugen und Soldatenrat Wilhelm Helms (SPD) als Zuchthäusler und Psychopaten, also unbrauchbar, darzustellen, schon kam ein weiterer Zeuge, der die kaum erträglichen Schilderungen von Helms bestätigte. Der Offizier, der die Morde befohlen hatte, Major Franz von Stephani, kam auch zu Wort und gab offen zu, dass er die Parlamentäre einfach hatte abknallen lassen und dass dies keine standrechtliche Erschießung war. Stephani geschah nichts, außer dass er als Mann mit jüdischen Wurzeln Jahre später zum »Ehrenarier« und kurz darauf zum SA-Führer ernannt wurde.

Auch Ex-Stadtkommandant Anton Fischer (SPD), ein Prophet des massenhaften Spitzelwesens, musste zugeben, dass er zur Bekämpfung des Aufstands Geld von der Bourgeoisie bekommen, zahlreiche Provokateure beschäftigt und Geiselnahmen von führenden Revolutionären vorgeschlagen hatte. Von Noske dann entmachtet, war er gar bereit gewesen, zu den Revolutionären überzulaufen.

Und nicht nur die unfaire Strategie von Otto Wels (SPD), Fischers Vorgänger, gegenüber den Matrosen der Volksmarinedivision (VMD) kam zu Wort. Ausgerechnet ein Parteigenosse von Wels, Kurt Heinig, im Auftrag des preußischen Finanzministeriums tätig, berichtete, dass die wesentlichen Plünderungen im Schloss vor der Besetzung durch die Matrosen geschehen waren, dass der Kommandant der Volksmarinedivision Radtke sogar eine Kriminal-Kommission eingesetzt hatte, um Plünderungen zu verhindern, und dass ein ehemaliger Diener Wilhelms II. das meiste geklaut habe.

Eine nicht ganz unerhebliche Feststellung, da der Plünderungsvorwurf Weihnachten 1918 mit ursächlich war für den bewaffneten Angriff gegen die roten Matrosen. Der SPD/USPD-geführten Preußischen Regierung diente er explizit als Legitimation für den Sturm auf Marstall und Schloss. Und noch im November 2018 wurde die Plünderungslegende von der »FAZ« verbreitet.

Dieser Band ist eine Quelle von hohem Wert für jeden, der sich nicht nur mit dem Januaraufstand, sondern überhaupt mit der Entwicklung der Novemberrevolution und der Konterrevolution hin zum Terror historisch und wissenschaftlich beschäftigen möchte. Chapeau!

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