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Jüdischer Professor: »Deutschland hat ein rassistisches und korruptes Polizeisystem«

US-Akademiker war in Bonn mehrmals von Beamten geschlagen worden / Behörden stellen Ermittlungen wegen Körperverletzung gegen vier Einsatzkräfte ein

  • Lesedauer: 4 Min.

Bonn. Die Staatsanwaltschaft Bonn hat Ermittlungen gegen vier Polizisten wegen eines Übergriffs auf einen israelischen Professor eingestellt. Die Aktionen der Beamten seien »nach Polizeirecht gerechtfertigte Maßnahmen« gewesen, sagte Staatsanwalt Sebastian Buß am Montag.

Der in den USA lehrende Hochschullehrer Jitzchak Jochanan Melamed war im vergangenen Juli während eines Besuchs in Bonn von einem Deutschen mit palästinensischen Wurzeln attackiert worden. Die alarmierten Polizisten hielten Melamed irrtümlich für den Angreifer und überwältigten ihn. Da er sich gewehrt habe, habe man ihn am Boden fixiert, hieß es. Außerdem sei er zweimal ins Gesicht geschlagen worden.

Gegenüber »nd« reagiert Melamed am Mittwoch mit deutlicher Kritik auf die Einstellung der Ermittlungen gegen die Beamten: »Deutschland hat ein rassistisches und korruptes Polizeisystem. Es ist mittlerweile eine Binsenweisheit das Polizeibeamte nicht im Fall von Beschwerden wegen Polizeigewalt gegen ihre eigenen Kollegen ermitteln sollten.« Der jüdische Akademiker bedauert das es »keine politische Unterstützung für eine unabhängige Untersuchungsstelle für Polizeigewalt in Deutschland« gebe. Der Akademiker ist Philosophieprofessor an der John Hopkins University in Baltimore.

Melamed selbst sagte nach dem Vorfall, er sei »Dutzende Male« geschlagen worden. Er schildert die Ereignisse so: Die Polizisten seien direkt auf ihn losgegangen, er habe kaum noch atmen, geschweige denn Widerstand leisten können. Er habe lediglich gerufen, dass er der Falsche sei. Die Beamten hätten ihm auf dem Rücken Handschellen angelegt und ihn Dutzende Male ins Gesicht geschlagen, so dass es blutete. Nachdem ihm die Handschellen wieder abgenommen worden waren, habe einer der Polizisten gesagt: »Legen Sie sich nicht mit der deutschen Polizei an!« Darauf habe er geantwortet, dass die deutsche Polizei 1942 seinen Großvater, seine Großmutter, seinen Onkel und seine Tante ermordet habe. Er habe keine Angst mehr vor der deutschen Polizei.

Melamed versicherte damals: »Ich war nicht zu 100, sondern zu 500 Prozent passiv.« Nachdem die Polizisten ihren Irrtum bemerkt hätten, hätten sie auch noch versucht, ihn von einer Beschwerde über ihr Vorgehen abzubringen. Laut Melamed hatten sie ihm damit gedroht, ihn zu beschuldigen, er habe sich seiner Festnahme widersetzt, sollte er sich über sie beschweren. Gegen die vier beteiligten Polizisten wurden daraufhin Ermittlungen wegen des Verdachts der Körperverletzung und der versuchten Strafvereitelung im Amt eingeleitet. Einer der Beamten hatte offenbar beim G7-Gipfel in Elmau per Funk das Goebbels-Zitat »Wollt ihr den totalen Krieg« verbreitet, gegen einen anderen war laut einem Bericht des NRW-Innenministeriums bereits zuvor wegen Körperverletzung ermittelt worden.

Buß sagte nun, der Tatverdacht habe sich nicht bestätigt. Es sei natürlich sehr bedauerlich, dass die Polizisten das Opfer für den Täter gehalten hätten. Da sich der Professor aber vehement gewehrt habe, seien die Fixierung und die »Blendschläge« - die keine wirklich harten Schläge gewesen seien - gerechtfertigt gewesen. Diese Vorwürfe kritisierte Melamed am Mittwoch gegenüber »nd« erneut als »fabriziert« und als »Lüge«.

Eingestellt wurden auch Ermittlungen gegen den Professor wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Gegen den Mann, der den Besucher aus den USA angegriffen hatte, wird dagegen noch weiter ermittelt. Die Bonner Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa hatte Melamed nach dem Vorfall besucht und sich entschuldigt. »Es handelt sich um ein schreckliches und bedauerliches Missverständnis im Einsatzgeschehen, für das ich bei dem betroffenen Professor ausdrücklich um Entschuldigung gebeten habe«, sagte die Beamtin. »Wir werden genau prüfen, wie es zu dieser Situation kam, und alles Mögliche dafür tun, um solche Missverständnisse zukünftig vermeiden zu können.«

Melamed glaubt laut seinem Brief, dass die Polizeipräsidentin ihn lediglich aufgesucht hatte, weil er Professor an einer US-amerikanischen Universität sei. »Wäre ich ein Underdog der deutschen Gesellschaft, würde sich niemand dafür interessieren, und sicher würde niemand der Beschwerde Glaube schenken.« Melamed resümiert: »Polizeigewalt ist einer der grässlichsten Aspekte der gegenwärtigen amerikanischen Gesellschaft. Sie ist rassistisch und niederträchtig. Sie mögen vielleicht denken, dass die Dinge in Deutschland anders sind - ich bezweifle das aber sehr.«

Laut Recherchen des Kriminologen Tobias Singelnstein von der Ruhr-Universität Bochum werden in Deutschland Verfahren wegen Körperverletzung im Amt in nur rund drei Prozent der Fälle zur Anklage gebracht. dpa/nd

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