Sprachrohre des Menschenhassers

Nur wenige Medien haben angemessen über den Terrorakt in Christchurch berichtet, meint Sabine Schiffer

  • Sabine Schiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Die PR-Strategie des Terroristen von Christchurch ist aufgegangen. Nicht nur der Boulevard erfüllt seine Wünsche, nennt seinen Namen, zeigt sein Foto und veröffentlicht gar noch Ausschnitte aus seinem Live-Videomitschnitt des Massakers in zwei neuseeländischen Moscheen. Sein Plan, mit der Untat des Erschießens von möglichst vielen Menschen berühmt zu werden, geht auf. Wir kennen das von Schulmassakern und anderen Gräueltaten; nicht nur das Internet macht die Täter wunschgemäß bekannt. Medien als Vehikel sind zu diesem Zweck fest eingeplant - sie erklären erst das eine, dann das andere Fundstück aus dem Netz für relevant.

Während öffentlich-rechtliche Fernsehbilder schockierte, trauernde und die Gemeinschaft suchende Menschen in Neuseeland zeigen, machen sich einige Medien zu Sprachrohren des Menschenhassers. Nicht allein im Internet kursiert das Video im Sinne des Terroristen, dem die großen Online-Plattformen kaum mit Content-Moderation beikommen. Die Hochladevorgänge übertreffen die millionenfachen Löschungen bei weitem.

Die »Bild« veröffentlicht das Propagandavideo des Festgenommenen wohlfeil. Diese »Zeitung« lebt seit jeher von menschenabwertenden Diskursen - insofern ist es konsequent, den voyeuristischen Blick auf sterbende Menschen freizugeben. Seitdem »Bild« unter der Ägide von Julian Reichelt erscheint, sind endgültig Häme und Menschenverachtung zur Blattlinie geworden. Verstöße gegen den Pressekodex gehören dort zum guten Ton. Die sinkende Auflage zeigt zwar, dass dies nicht erfolgreich ist. Aber es passt zu einer Art Hauptsache-Krawall-Strategie à la Rechtspopulismus. Das Motto: Irgendein Idiot wird schon drüber reden.

Den Rechtsaußen gefällt’s. Andere empörten sich, nicht zuletzt auf Twitter. Aber nicht nur »Bild«, auch die Berliner »B.Z.« steht in der Kritik mit folgender Schlagzeile auf der Titelseite: »Er tötete Unschuldige aus Rache für den Terror am Breitscheidplatz.« Als Zugabe war darüber noch das Fotos des Mörders zu sehen.

Immerhin werden die Opfer als Unschuldige erkannt, mag man wohlwollend meinen. Aber klingt es nicht doch irgendwie legitimierend, wenn man in der aktuellen Situation an den Schrecken des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz 2016 erinnert wird? In der Tat hat diese Interpretation des Aufdrucks »for Berlin« auf der Waffe des Täters schon viel davon, sich auf seine Perspektive einzulassen.

Ohne dafür plädieren zu wollen, die Täterperspektive einzunehmen, lässt sich gerade durch eine Gegenprobe das Messen mit zweierlei Maß bei der Art dieser Darstellung ermitteln. Stellen wir uns vor, man würde beim Berichten über Terror, der von muslimischen Tätern verübt wird, folgende Wendung formulieren: »Die Terroristen töteten unschuldige Menschen (in Paris, London, Madrid) aus Rache dafür, dass westliche Soldaten in ihren Ländern stationiert sind und ihre Regime durch Kredite von Weltbank und IWF in Abhängigkeit gehalten werden.«

Natürlich bedeutet »Verstehen wollen« nicht gleich »Verständnis haben«. Aber der Reflex, dies genauso zu interpretieren, ist da. Jedoch nicht immer. Wir sind es nämlich gewöhnt, im anderen Terrorfall nicht nach solchen Zusammenhängen zu fragen, sondern stattdessen pauschal auf ein diffuses Konzept namens Islamismus zu verweisen - also auf die Täter selbst. Wie müsste, in der üblichen Logik verbleibend, dann eine Titelseite der »B.Z.« aussehen? Würde man keine doppelten Standards anlegen, dann wäre hier die Skandalisierung seines rechtsextremen Weltbilds als unverbesserlich zu erwarten gewesen.

Letzteres versucht zwar der Beitrag von Frank Jansen im Berliner »Tagesspiegel«, wenn er die Parallelen zwischen den Extremismen - Rechtsradikal und Islamismus - aneinanderreiht. Letztendlich aber transportiert der Titel eine Botschaft, die der der »B.Z.« zumindest im Geiste doch sehr nahe kommt. Im Tagesspiegel hieß es: »Anschlag auf Muslime in Neuseeland. Angst vor Rache und Nachahmern.« Was macht Ihnen jetzt mehr Angst: Rechter Terror oder der sogenannter Islamisten?

Man hätte es anders lösen können. Die »Hamburger Morgenpost« macht es vor. Mit ihrer schwarzen Titelseite und dem knappen Text bricht sie mit den Erwartungen: »Der Massenmörder von Christchurch filmte sich bei seiner monströsen Tat, damit diese Bilder um die Welt gehen. Von uns bekommt er dafür keinen Platz.« Richtig so!

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