Der Schlingerer tritt ab

Immer neue Vorwürfe gegen DFB-Präsident Reinhard Grindel - nun gibt er das Amt auf

Am Ende ging es ganz schnell, und der oft bemühte Tropfen, der das sprichwörtliche Fass überlaufen ließ, scheint wirklich etwas zu klein zu sein. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB), größter Einzelsportverband des Landes, steht seit Dienstagnachmittag plötzlich ohne gewählten Präsidenten da, denn Reinhard Grindel ist zurückgetreten. Seiner Stellungnahme zufolge wegen einer geschenkten Uhr im Wert von 6000 Euro. »Ich entschuldige mich dafür, dass ich durch mein wenig vorbildliches Handeln in Zusammenhang mit der Annahme einer Uhr Vorurteile gegenüber haupt- oder ehrenamtlich Tätigen im Fußball bestätigt habe«, ließ Grindel per Erklärung auf der DFB-Homepage verbreiten. Er schrieb weiter, dass er »nicht geldgierig« sei, die Uhr 2017 als Geburtstagsgeschenk eines Freundes betrachtet habe und ihren Wert erst seit dem Wochenende kenne.

Doch der Gönner war kein gewöhnlicher Freund, sondern Grigori Surkis, ein ukrainischer Oligarch, der damals mit Grindel im Exekutivkomitee des europäischen Dachverbands UEFA saß. Surkis und sein Bruder Igor besitzen seit Jahrzehnten den Spitzenklub Dynamo Kiew. Für die versuchte Bestechung eines spanischen Schiedsrichters wurden aber nur Igor und der Verein gesperrt, Grigori Surkis sagte, er habe nichts davon gewusst. Von diesem »Freund« nahm Grindel also eine Uhr an. »Herr Surkis hatte keinerlei wirtschaftliche Interessen im Zusammenhang mit dem DFB. Er hat mich niemals um Unterstützung gebeten. Es war und ist für mich keinerlei Interessenkonflikt erkennbar«, betonte Grindel. Warum aber tritt er dann zurück? Entweder Grindel ist hier nicht ehrlich oder er denkt ernsthaft, dass nichts Korruptes erkennbar sei, was ihn als DFB-Präsident ebenfalls unhaltbar macht.

Reaktionen auf den Rücktritt Grindels

Reinhard Rauball (DFL-Präsident und DFB-Interimspräsident): »Amateur- und Profivertreter sind nun gemeinsam gefordert, bis zum kommenden DFB-Bundestag die Weichen für die Zukunft zu stellen. Nicht nur sportlich, sondern auch mit Blick auf die Positionierung in der Gesellschaft steht der DFB vor enormen Herausforderungen. Diese Herausforderungen gilt es, mit großer Ernsthaftigkeit, Empathie und Gestaltungswillen anzugehen. Ziel muss es dabei sein, jenseits von Einzelinteressen immer nach den besten Lösungen für den deutschen Fußball zu streben.«

Rainer Koch (DFB-Interimspräsident): »Reinhard Grindel hat sich mit hohem persönlichem Engagement für den DFB eingebracht und nicht nur in der Bewerbung um die EURO 2024 viel für den Verband getan. Wir sind ihm dafür sehr dankbar und haben großen Respekt vor seiner Entscheidung. Unser Ziel ist es jetzt, einen gemeinsamen Kandidaten von DFB und DFL außerhalb des Präsidiums zu finden, der die Anliegen des Amateurfußballs ebenso im Blick hat wie den Spitzenfußball.«

Lothar Matthäus (Ehrenspielführer und Rekordnationalspieler bei Sky): »Eine kluge Entscheidung, die Geschichte mit der Uhr und auch mit den jüngsten Zahlungen ließen keine andere Entscheidung zu. Es gab auch Uneinigkeiten und Unstimmigkeiten beim DFB. Wenn man alles zusammen nimmt, ist es die beste Entscheidung für den deutschen Fußball. Der DFB unter der Führung von Herrn Grindel hat in den letzten Monaten einiges falsch beurteilt. Eine Neuaufstellung ist dringend notwendig.«

Horst Heldt (Manager von Hannover 96): »Der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes ist das Aushängeschild des deutschen Fußballs. Jetzt gilt es, einen geeigneten und kompetenten Mann zu finden, der die Belange von Profi- und Amateurfußball in Einklang bringt.« SID

Klar ist, dass die Uhr allein Grindel nicht zum Rücktritt zwang. Da wären noch die vom »Spiegel« ans Licht gebrachten 78 000 Euro, die sich Grindel als Aufsichtsrats-Chef einer DFB-Tochterfirma zahlen ließ. Seit April 2017 ist er zudem Mitglied der Führungsriegen der UEFA und des Weltverbands FIFA. Diese Tätigkeiten sollen mit weiteren 500 000 Euro jährlich vergütet werden. Das ist an sich nicht ungewöhnlich für einen DFB-Präsidenten, wirft aber kein gutes Licht auf einen, der zum Amtsantritt Transparenz versprach, die 78 000 Euro dann aber verschwieg.

Dazu fällt in Grindels Erklärung übrigens kein Wort. Er spricht nur über die Uhr und stellt fest: »Ich bin tief erschüttert, dass ich wegen eines solchen Vorgangs meine Funktion als DFB-Präsident aufgeben muss.« Dabei dürfte den Mitarbeitern des Verbands diese Uhr ziemlich egal sein. In der DFB-Zentrale wird der CDU-Politiker als cholerisch und rechthaberisch charakterisiert. Insidern zufolge sei »grindeln« sogar zum Synonym geworden, wenn jemand einen Kollegen grundlos anpöbelte. Die Unzufriedenheit im eigenen Hause hat Grindel gespürt, und sie ist der wahre Grund für den Abgang.

Der scheidende DFB-Chef mag die EM 2024 nach Deutschland geholt haben. Auch um die Stärkung der Amateure hat er sich bemüht. Ansonsten aber fiel er zu oft als Schlingerer auf. So trieb er Mesut Özil in der Debatte um das umstrittene Foto mit dem türkischen Präsidenten Erdogan nach der verpatzten WM 2018 zum Rücktritt. Grindel hatte von Özil zunächst per Ultimatum eine Stellungnahme gefordert, ihn dann wegen der Unruhe im Team indirekt zum Sündenbock abgestempelt und später eingestanden: »Ich hätte mich angesichts der rassistischen Angriffe deutlicher positionieren und vor Mesut Özil stellen müssen.«

Nachdem Joachim Löw Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng ausgebootete hatte, stellte Grindel ein Abschiedsspiel in Aussicht, obwohl der DFB solche Partien längst nicht mehr veranstaltet. Zudem habe er auch die Ablehnung der Ausweitungspläne einer WM auf 48 Mannschaften oder der Klub-WM auf 24 Teams im FIFA-Council nicht energisch genug vertreten, heißt es.

Bis zur Wahl des nächsten Präsidenten im September wird der DFB von Ligapräsident Reinhard Rauball und DFB-Vize Rainer Koch geführt. Eine Parallele zu 2015, als Grindels Vorgänger Wolfgang Niersbach über die WM-Affäre von 2006 gestolpert war. Niersbach durfte dennoch jahrelang die lukrativen internationalen Posten behalten. Von denen will auch Grindel bislang nicht zurücktreten. Wie das den Vorurteilen gegenüber Führungsfiguren im Fußball entgegenwirkt, weiß wohl nur er selbst.

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