»Manchmal denke ich, da hat Herr Lindner Recht«

Bei einer Rückschau auf 1969, als SPD und FDP gemeinsam die Bundesregierung bildeten, suchen beide Parteien erneut die Annäherung

  • Alina Leimbach
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Montagabend kommt Andrea Nahles in Berlin in FDP-Magenta auf die Bühne des Allianz-Forums und erklärt: »Manchmal denke ich schon, da hat Herr Lindner Recht.« Sich neuen Bündnissen zu öffnen, scheint derzeit im Trend zu liegen. Die Grünen betiteln sich sogar selbst als die »Bündnispartei« und buhlen unverhohlen um die Gunst der CDU. Auch SPD und FDP haben sich nun auf dieses Terrain gewagt - 50 Jahre nach dem Start der ersten sozialliberalen Koalition traf SPD-Chefin Andrea Nahles bei einer gemeinsamen Veranstaltung auf den FDP-Spitzenmann Christian Lindner.

Beide bemühen sich im Gespräch sichtlich, Gemeinsamkeiten zu finden. Lindner streicht heraus: »Eines können Sozialliberale besser lösen als jede andere Konstellation: Das ist der Komplex Migration.« Währenddessen nickt Nahles, wenn auch grimmig. Es ist wohl nicht das Thema, bei dem sie am liebsten Gemeinsamkeiten ausgelotet hätte. Doch sie räumt ein: »Realismus ohne Ressentiments« sei die Linie, die sie als SPD-Chefin vorgegeben habe. Neben Migration finden beide Einigkeiten beim Einschießen auf den neuen Lieblingsfeind: die Grünen, die Verbotspartei.

Schon in einem großen Interview in der »Welt am Sonntag« vom Vortag hatten beide in Richtung der Grünen Positionen abgesteckt. Am Montag wirft Lindner sogar mit Rückgriff auf den Soziologen Ulrich Beck in den Raum, ob die »Figur der ökologischen Steuerung von oben« mancher Grüner nicht Ansätze eines »autoritären, chinesischen Staatskapitalismus« habe. Er wettert gegen staatliche Eingriffe, Quoten, und natürlich Verbote. Soweit lehnt sich Nahles nicht aus dem Fenster, betont aber: »Wir gehen beide nicht über die Verbotslogik heran, sondern über Wege.« Sie sei wie Lindner überzeugt, dass man Industrie und Produktion ebenso in Deutschland brauche wie Konzepte, »wie wir Klimaschutz und Energiesicherheit unter ein Dach bringen«. Kleiner Schönheitsfehler: An den Grünen kämen die beiden derzeit nicht vorbei.

Doch würde die mittlerweile legendär gewordene Maxime Lindners - »lieber nicht regieren, als falsch regieren« - eine Ampel-Koalition mit der SPD aushalten können? »Ich würde mal sagen, aus dem Stand wären wir nicht koalitionsfähig«, räumt Nahles unumwunden ein. Christian Lindner beeilte sich hingegen zu betonen, dass es ja bereits ein erweitertes sozialliberales Regierungsmodell gebe: die Ampel-Koalition in Rheinland-Pfalz. Auch zur Bundestagswahl hatte der FDP-Mann ein solches Bündnis nicht ausgeschlossen, genauso wenig wie Jamaika. Das ließ die FDP dann allerdings platzen. Auch aus SPD-Kreisen waren vor der Bundestagswahl immer wieder Hoffnungen auf eine mögliche Ampel zu hören.

Doch eines ist klar: Der Weg zueinander ist weit. Nicht nur rein rechnerisch haben sozialliberale Konstellationen derzeit nicht mal ansatzweise eine Mehrheit im Bund. Auch inhaltlich sind die Gräben zwischen staatstragender SPD und den deutlich wirtschaftsliberaler gewordenen Freidemokrat*innen seit 1969 gewachsen. Beispiel Europa: Hier will Lindner vor allem den Binnenmarkt vervollständigen. Die SPD will dagegen einen europäischen Mindestlohn und einen Krisenmechanismus für Staaten, um ihnen bei hoher Arbeitslosigkeit unter die Arme zu greifen. An den Fragen des Umgangs mit der Wirtschaft war auch die zweite sozialliberale Koalition geplatzt.

Am Ende der Debatte findet der ehemalige FDP-Innenminister Ger-hart Baum: »Gemeinsamkeiten gibt es natürlich. Ich kann sie nur ermutigen, solche Diskussionen fortzusetzen.« Doch der Sozialliberale grätscht in die Annäherung hinein - und zwar in Richtung Lindner. Liberale Politik beinhalte sehr wohl staatliche Intervention, wenn so die Freiheit des Einzelnen geschützt werde. Beispiel Folgen der Digitalisierung: »Unsere Selbstbestimmung wird verletzt. Der Einzelne weiß nicht mehr, was er unterschreibt. Da muss es staatliche Regeln geben.«

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