Die »Flugscham« greift um sich

Immer mehr Schweden verzichten aus Klimaschutzgründen aufs Fliegen

  • Johannes Ledel
  • Lesedauer: 3 Min.

Stockholm. Die Erfinderin der Schulstreiks fürs Klima hat es vorgemacht: Greta Thunberg fuhr mit dem Zug von Stockholm zum Weltwirtschaftsforum nach Davos und zum Klimagipfel nach Kattowitz. Doch die 16-Jährige ist längst nicht die einzige Schwedin, die der Umwelt zuliebe aufs Fliegen verzichtet. Im Schwedischen gibt es inzwischen dafür sogar ein eigenes Wort: »Flygskam« - »Flugscham«.

Prominenter Vertreter der Bewegung ist der ehemalige Biathlet und Olympiasieger Björn Ferry. Er kündigte im vergangenen Jahr an, nur noch im Zug als Kommentator zu Sportveranstaltungen zu fahren. Auch beim Film wächst das Umweltbewusstsein. 250 Mitarbeiter der Branche unterzeichneten einen Aufruf in der größten schwedischen Tageszeitung »Dagens Nyheter«, wonach Produzenten Dreharbeiten im Ausland beschränken sollen.

Ein schwedischer Instagram-Account stellt seit Dezember Prominente an den Online-Pranger, die für Fernreisen werben. Der Account hat inzwischen mehr als 60.000 Follower. »Der Flygskam-Trend hat mich sicher beeinflusst«, sagt die Politik-Studentin Viktoria Hellstrom. Vergangenes Jahr fuhr die 27-Jährige mit dem Zug von Stockholm nach Italien, um nicht zweimal innerhalb weniger Wochen zu fliegen. Ihre Freunde, die sie dort traf, reisten jedoch wie gewohnt mit dem Flieger an.

Bislang gehörten die Schweden zu den Vielfliegern. Das liegt zum einen an der Lage des Landes weit im Norden Europas - vom nordschwedischen Kiruna bis zur südfranzösischen Côte d'Azur sind es 4000 Kilometer. Aber auch am Wohlstand und dem breiten Angebot an Billigflügen. Die Emissionen durch Flüge pro Kopf waren zwischen 1990 und 2017 fünfmal so hoch wie im weltweiten Durchschnitt, wie die Technische Hochschule Chalmers berechnete. Der Ausstoß klimaschädlicher Abgase durch Auslandsflüge ab Schweden stieg demnach seit 1990 um 61 Prozent.

Auf der anderen Seite bekommt Schweden die Folgen des Klimawandels offenbar besonders deutlich zu spüren: Das Meteorologische Institut des Landes erklärte vergangene Woche, dass die Temperatur in Schweden doppelt so schnell ansteige wie im globalen Schnitt.

Im März veröffentlichte die World Wildlife Foundation eine Umfrage, in der fast 20 Prozent der befragten Schweden angaben, der Umwelt zuliebe schon einmal den Zug statt das Flugzeug genommen zu haben. Vor allem Frauen und junge Menschen reisen demnach umweltbewusst. Um den Trend zu unterstützen, will die Regierung bis Ende 2022 wieder Nachtzüge in die wichtigsten europäischen Städte einsetzen.

Im Winter verzeichnete die Schwedische Bahn SJ einen Anstieg der Geschäftsreisen um 21 Prozent. Die Zahl der Inlandsflüge ging im vergangenen Jahr laut Daten der Verkehrsbehörde vom September um 3,2 Prozent zurück.

Die schwedische Psychologin Frida Hylander ist überzeugt, das »Flygskam« nur ein Faktor für den Trend ist. Die neue Flugsteuer, die vor einem Jahr eingeführt wurde, könnte genau so gut ein Grund sein. Oder die Pleite der regionalen Fluggesellschaft Nextjet, deretwegen viele Routen monatelang nicht mehr angeboten wurden. AFP/nd

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