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  • Ausweis für Illegalisierte

Eine Karte für alle Fälle

Die Berliner Linkspartei will mehr Teilhabe für Illegalisierte durch einen Ausweis für alle.

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 6 Min.

Wer einen Mietvertrag abschließen, ein Bankkonto eröffnen oder einfach nur eine Mitgliedschaft in einer Bibliothek beantragen will, braucht dafür ein gültiges Ausweisdokument. Für die geschätzt mehrere Zehntausend illegalisierten Menschen in Berlin ist das nicht möglich, sie bleiben von den städtischen Dienstleistungen ausgeschlossen - ganz abgesehen von den Risiken, die eine polizeiliche Ausweiskontrolle für sie mit sich bringen kann. Die Berliner Linkspartei will das ändern und einen städtischen Ausweis für alle einführen, der Menschen ohne Papiere und mit unsicherem Aufenthaltsstatus mehr soziale und kulturelle Teilhabe ermöglichen soll.

Die Idee ist einfach: Alle Menschen, die in Berlin leben, sollen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus und ihrer Nationalität einen kommunalen Ausweis erhalten, mit dem sie Zugang zu städtischer Infrastruktur wie Bibliotheken, kulturellen Einrichtungen oder zu Gesundheit und Bildung erhalten. In New York gibt es einen derartigen Ausweis bereits seit 2014: Die New York City ID wird nicht nur von Verwaltungen, Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen anerkannt, sondern auch von vielen privaten Unternehmen und der Polizei. Auch in Zürich wird mit der Züri City Card ein derartiges Projekt gerade auf den Weg gebracht. Geht es nach der Berliner Linkspartei, soll Berlin die nächste Metropole werden, die damit eine Art städtische Bürgerschaft für die Menschen ermöglicht, die keinen formalen Bürgerstatus haben.

Llanquiray Painemal engagiert sich ehrenamtlich bei Respect Berlin, einem Zusammenschluss von lateinamerikanischen Frauen, die sich für die Rechte von Migrantinnen in der bezahlten Haushaltsarbeit einsetzen. Aus ihrer Arbeit weiß sie: »Illegalität betrifft viele Menschen in Berlin. Sie leben und arbeiten hier, sie betreuen Kinder und putzen in privaten Haushalten. Sie tragen dazu bei, dass diese Gesellschaft funktioniert, haben aber praktisch keine Rechte.« Selbst wenn diese Rechte formal existieren, wie etwa das Recht auf Bildung, würden viele Betroffene sie nicht wahrnehmen - aus Angst vor Aufdeckung oder aufgrund bürokratischer Hürden. Diese Hürden sollen durch einen städtischen Ausweis für alle abgebaut werden.

Seit Januar ist Berlin als Solidarity City Mitglied eines europäischen Städtenetzwerks, das die Aufnahme und Partizipation von Geflüchteten fördern will. Damit es nicht bei Symbolpolitik bleibt, sollen mit der Einführung eines städtischen Ausweises für alle erste konkrete Schritte auf den Weg gebracht werden. »Wir wollen damit einen Kontrapunkt zur Abschottungspolitik der Bundesregierung setzen und eine Verbesserung der Lebensbedingungen für die Betroffenen erreichen«, so die Landeschefin der BerlinerLINKEN, Katina Schubert, am Mittwochabend bei einer Diskussionsveranstaltung. »Wer in Berlin lebt, ist Berliner oder Berlinerin und soll den gleichen Zugang zu städtischen Leistungen haben wie alle anderen auch.« Dafür will der Landesverband nun ein Rechtsgutachten in Auftrag geben, das mögliche Anwendungsbereiche untersuchen soll.

Helene Heuser von der Flüchtlingsberatung »Refugee Law Clinik« an der Universität Hamburg, die das Gutachten erarbeiten wird, sieht bei der Umsetzung vor allem drei Probleme: »Das erste ist die Kompetenzfrage: «Häufig wird nur der Bund als Akteur in der Migrationspolitik wahrgenommen, dabei kommen Städten und Gemeinden wichtige Aufgaben und Kompetenzen insbesondere bei der praktischen Umsetzung zu», so die Juristin. Das Ausweiswesen sei aber zumindest bezüglich der Gesetzgebung klar Bundessache. . Also war es das mit dem Ausweis für alle? «Es ist trotzdem möglich, aber man sollte es besser nicht Ausweis nennen», meint Heuser, die in Hamburg zum Konzept «Städte der Zuflucht» forscht. Eine «Stadtkarte» könne jedoch nicht den Ausweis ersetzen und würde von Bundesbehörden nicht akzeptiert: «Damit ist keine Legalisierung verbunden», gibt sie zu bedenken. Jedoch könnten die Länder und Kommunen den Ausweis als Anknüpfungspunkt für die Identität einer Person akzeptieren. Außerdem hätten diese über die Durchführung des Aufenthaltsgesetzes mit ihren Ausländerbehörden durchaus auch einige Spielräume bei der Legalisierung des Aufenthalts von Menschen.

Eine weitere Hürde sieht Heuser in der Übermittlungspflicht der Behörden. Diese müssen der Ausländerbehörde melden, wenn sie auf Menschen ohne Aufenthaltstitel stoßen. «Sobald Illegalisierte Kontakt zu staatlichen Stellen haben, droht ihnen die Abschiebung.» Viele Betroffene hätten daher Angst, mit Behörden in Kontakt zu treten. Eine Politik wie in den USA nach dem Motto: «Don’t ask, don’t tell (zu Deutsch etwa »Frag nicht, sag nichts«) sei wegen der Übermittlungspflicht zwar nicht möglich, wohl aber könnten die Institutionen angwiesen werden, nicht nach dem Aufenthaltsstatus zu fragen.

Bea Schwager vom Züri-City-Card-Netzwerk kennt die Schwierigkeiten auf dem Weg zu einem Stadtausweis für alle ganz genau. Seit Jahren versucht die Leiterin der Züricher Sans-Papier-Anlaufstelle dieses Projekt in der Finanzmetropole umzusetzen. Wie die City ID in New York soll die Züri City Card als rechtsgültiger Ausweis für alle gelten. »Wir wollen damit eine Normalisierung des Alltags und eine Verbesserung der Lebenssituation von Illegalisierten erreichen«, so Schwager.

2015 gab es dazu erste Gespräche mit der Stadtregierung, zwei Jahre später gründete sie mit Mitstreiter*innen einen Verein und machte die Idee publik. »Beim Wahlkampf für die Gemeinderatswahlen war die City Card ein wichtiges Thema, mehr als 80 Prozent der Kandidaten waren dafür, sogar die Konservativen«, freut sich Schwager noch heute. Kurz darauf lancierte ihr Verein eine Petition zur Umsetzung der City Card - mit Erfolg: Statt der nötigen 3000 kamen mehr als 8500 Unterschriften zusammen, kurze Zeit später beschloss der Züricher Gemeinderat dann die Einführung. Bis 2022 hat die Züricher Stadtregierung Zeit, einen Vorschlag auszuarbeiten.

Bis es in Berlin so weit ist, wird es noch eine Weile dauern. »Die Einführung eines Stadtausweises für alle wird ein schwieriger und langer Prozess, aber es lohnt sich«, glaubt Katina Schubert. Neben der Überzeugung der Koalitionspartner, allen voran der SPD, sieht die flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion das größte Problem bei der Polizei: »Es wird schwierig, sie zu überzeugen, dass die City Card bei Kontrollen ausreicht.« Dabei zeigen die Erfahrungen aus New York, dass diese sogar der Kriminalitätsbekämpfung dienen kann, da sich dadurch mehr Menschen etwa als Zeug*innen an die Polizei wenden könnten. Um Stigmatisierungen zu verhindern und die Akzeptanz zu vergrößern, seien jedoch alle gefragt: »Am besten müssten alle Berliner bei Kontrollen diese Karte vorzeigen.« Erst einmal müsse jedoch geprüft werden, in welchen Bereichen die Karte angewendet werden könnte. Etwa für den Zugang zum Wohnberechtigungsschein (WBS) oder das Sozialticket. Noch vor den nächsten Wahlen in zwei Jahren will die Landeschefin der Linkspartei zu einem ersten Ergebnis kommen. »Und dann geht es in die Verhandlungen mit den Koalitionspartnern.«

Für Llanquiray Painemal ist es vor allem wichtig, dass die Betroffenen in den Prozess mit einbezogen werden. Auch wenn sie die Idee »sehr sympathisch« findet, das Ziel bleibe die Legalisierung der Menschen. Denn auch mit einem City Pass blieben die grundlegenden Probleme bestehen: »Der Ausweis wird den strukturellen Ausschluss und Rassismus nicht beenden.«

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