Eine Schule gegen die AfD

Die Ida-Ehre-Schule in Hamburg wurde unfreiwillig zu einem bundesweiten Symbol im Kampf gegen rechts

  • Niklas Franzen
  • Lesedauer: 9 Min.

Der Ort, wo alles seinen Anfang nahm, ist ein vierstöckiges Gebäude mit verglastem Eingangsbereich, PVC-Boden und vollgekritzelten Klos. In einem schlichten Klassenraum sitzen Lena und Hanna auf Buchenholzstühlen mit Stuhlbeinen aus blauem Stahl. Beide sind Schülerinnen, um die 18 und heißen eigentlich anders. Mit ruhiger Stimme erzählen sie, was in den letzten Wochen über ihre Schule hereingebrochen ist.

Seit die Ida-Ehre-Schule auf dem von der AfD initiierten »Informationsportal Neutrale Schulen Hamburg« aufgrund angeblich »linksextremistischer Aktivitäten« gemeldet wurde, steht die Schule im Fokus. Mehr noch: Sie entwickelte sich über die Grenzen von Hamburg zu einem Symbol. Bürgerliche Medien schrieben von der »Causa Ida Ehre«, linke Gruppen solidarisierten sich mit der »Antifa-Schule«. Die Auseinandersetzung mit der AfD zeigt, wie Bildung immer mehr zu einem Kampffeld der Rechtsaußenpartei wird. Wie Medien zu Erfüllungsgehilfen von Rechten werden können. Sie zeigt aber auch, wie Antifaschismus heute aussehen kann.

Der Lehmweg ist eine ruhige Straße im gutbürgerlichen Hamburger Stadtteil Eimsbüttel. Der Isebekkanal plätschert zwischen Wohnblocks und kleinen Geschäften. Neben einem Antiquitätenhandel und einem schicken Café, in dem junge Menschen mit teuren Laptops sitzen, gibt es eine Kältesauna, die mit Sprüchen wie »Frier dich fit« und Rabatten ab dem dritten Besuch wirbt. Keine 50 Meter weiter steht ein Gebäude, das mit seinem weißen Schutznetz am Baugerüst aussieht, als würde es ein Nachtkleid tragen: das Oberstufenhaus der Ida-Ehre-Schule. Ein Schild mit knalligen Farben heißt die Besucher*innen am Eingang willkommen: »Wir sind Antifa«.

Lena und Hanna
Lena und Hanna

Stein des Anstoßes waren ein paar Sticker. Über ihre Bürgerschaftsfraktion stellte die AfD Anfang März eine Kleine Anfrage an den Senat. Seit Monaten stellt die Partei eine Anfrage nach der nächsten. Der Vorwurf diesmal: An der Ida-Ehre-Schule würden »verfassungsfeindliche linksextremistische Aktivitäten« vom Kollegium und der Schulleitung geduldet. Zuvor waren Fotos im Internet hochgeladen worden. »Meldeportal« nennt die AfD ihre Plattform. »Petzportal« oder »Schulpranger« sagen die Kritiker*innen.

Lesen Sie auch unser Interview über das Meldeportal und die Hamburger AfD: »Wer von der AfD angegriffen wird, ist nicht allein«

Besonders eine Pinnwand mit zahlreichen linken Stickern - unter anderem von der vom Hamburger Geheimdienst beobachteten Antifa Altona Ost - sorgte für Ärger. »Die Sticker haben wir im Rahmen eines Kunstprojektes aufgehangen«, sagt Lena, die die zwölfte Klasse besucht und einen Pullover mit einem Zitat von Sophie Scholl trägt. »Wir hätten die Pinnwand besser als Unterrichtsprojekt kenntlich machen sollen, das stimmt. Aber wer kann denn damit rechnen, dass das so eine große Sache werden würde?«

Behörde entfernt linke Aufkleber

Nachdem die AfD die Anfrage gestellt hatte, schickte die Schulbehörde in den Frühjahrsferien die Schulaufsicht los und ließ die Sticker entfernen. Das Argument: Es sei gegen das politische Neutralitätsgebot verstoßen worden. Zwar dürften Schüler*innen ihre Meinung im Unterricht vertreten, allerdings sei politische Werbung an Schulen nicht zulässig. Kritiker*innen sehen das anders und sprechen von Zensur. Das Meldeportal erinnert viele an Nazimethoden. »Die AfD will sich ein Bild machen, wo Linke sind«, meint Hanna, die ebenfalls in die zwölfte Klasse geht. »Wenn sie noch mehr Macht haben, wissen sie auch ganz genau, wen sie aussortieren müssen. Das macht mir Angst.«

Sabine Segelken
Sabine Segelken

In einem geräumigen Büro am Ende eines langen Flurs sitzt Sabine Segelken. Auf ihrem Schreibtisch stapeln sich Aktenordner, in einer Ecke hängen Familienfotos. Segelken kennt die Ida-Ehre-Schule wie kaum eine andere. 2000 wurde sie hier Lehrerin für Mathe und Physik, seit 2008 ist sie Abteilungsleiterin der Oberstufe. »Wir lehnen das Meldeportal als Aufruf zur Denunziation ab. Der AfD geht es nicht darum, Schüler und Lehrer zu schützen. Sie wollen auf unsere Kosten parteipolitischen Nutzen schlagen und in die Schlagzeilen kommen.«

Doch wie sind die Fotos eigentlich in dem Meldeportal gelandet? Segelken sagt, dass die Schule nicht nach der Person suche, die die Fotos hochgeladen hat. »Das ist genau, was die AfD will. Sie wollen Unsicherheit schaffen, spalten und ein Klima der Angst erzeugen.« Außerdem könnte es theoretisch auch eine Person von außen gewesen sein.

Für Lena und Hanna geht das Problem über die AfD hinaus. Gerade vom sozialdemokratischen Schulsenator Ties Rabe seien sie enttäuscht. Der habe sich nicht vor die Schule gestellt und die Sticker ohne Rücksprache entfernen lassen.

Der Senat als verlängerter Arm der AfD? Das sieht Oberstufenleiterin Segelken anders. Zwar sei das Entfernen »ungeschickt« gewesen, sich nun auf den Senator »einzuschießen« sei aber nicht klug. »Das macht eine Front an der falschen Stelle auf.« Die Aktion der Schulbehörde habe erst im Nachhinein eine »unselige Wirkung« entfaltet und sei in den Medien übertrieben dargestellt worden.

Stichwort Medien. Gerade die hätten eine große Verantwortung an der Eskalation getragen. Das »Hamburger Abendblatt« veröffentlichte am Montag nach den Ferien einen heftig diskutierten und als einseitig kritisierten Artikel - ohne der Schulleitung Zeit zu lassen, Stellung zu beziehen. Die Überschrift: »Linksextremisten agieren ungestört an der Schule«. »In dem Artikel wurden die Anschuldigungen der AfD eins zu eins übernommen«, kritisiert Segelken. Lena meint: »Als ich den ›Abendblatt‹-Artikel gelesen habe, bin ich fast vom Stuhl gefallen.« Auch andere Medien zogen schnell nach. Ein Sturm der medialen Entrüstung brach über die Schule herab. »Vor einer halben Stunde haben wir eine Klausur über Medien und Demokratie geschrieben«, sagt Hanna. Sie und ihre Mitschülerin Lena thematisierten die Auswirkungen des »Abendblatt«-Artikels. »Das war ein perfektes Beispiel dafür, was Medien anrichten können.«

Und die AfD? Die Partei feuert weiter gegen die Schule und stellte nach wenigen Tagen eine weitere Anfrage - diesmal wegen eines Transparents der Antifa Altona Ost. Zwar wird die Gruppe vom Verfassungsschutz beobachtet, allerdings konnten keine Straftaten nachgewiesen werden und selbst der deutsche Geheimdienst musste ihr Gewaltfreiheit attestieren. Die von der AfD initiierte Hexenjagd zeigte schon bald Wirkung: Ende März ging an der Ida-Ehre-Schule eine Bombendrohung per Mail ein, die sich allerdings schnell als leere Drohung entpuppte. Ein Aufschrei blieb aus. »Über ein paar Sticker gibt es wochenlange Diskussionen«, sagt Hanna. »Aber eine Bombendrohung interessiert kaum jemanden. Wie krass ist das denn?«

Und auch die SPD-geführte Schulbehörde machte bald wieder von sich reden: Für einen Projekttag am nahe gelegenen Helene-Lange-Gymnasium vermittelte sie den Initiator des AfD-Meldeportals, Alexander Wolf, als »Extremismus-Experten«. Und Schulsenator Rabe verteidigte die Anordnung, die Sticker zu entfernen, in einem Interview. Sein Tenor: Wenn man linke Sticker hängen lasse, müsse man auch rechte oder islamistische Sticker tolerieren. Lena meint: »Es ist falsch, links und rechts gleichzusetzen. Wir kämpfen für die Gleichstellung aller Menschen, Rechte wollen andere Menschen vernichten.«

Schüler*innen werden politischer

Ida-Ehre-Schule: Eine Schule gegen die AfD

Doch warum ist gerade die Ida-Ehre-Schule der AfD ein Dorn im Auge? Die Schule ist bekannt für ihr politisches Engagement und ihre klare Kante gegen Rassismus. 2001 wurde auf Druck von Eltern der Name der Schule geändert: Trug die Schule bis dahin noch den Namen eines Antisemiten, heißt sie nun nach der jüdischen Schauspielerin und Holocaust-Überlebenden Ida Ehre. Die Schule ist außerdem Teil des Zusammenschlusses »Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage«. Regelmäßig werden Bildungsreisen in ehemalige Konzentrationslager organisiert, in Projektwochen wird die NS-Vergangenheit thematisiert. »Der Unterricht gibt uns die Möglichkeit, über Politik zu reden«, meint Hanna, Lena ergänzt: »Wir werden hier angeregt, Dinge kritisch zu hinterfragen.«

Nach der Auseinandersetzung mit der AfD fand auch die Lehrerschaft klare Worte. In einer Stellungnahme erklärte sie, dass sie stolz auf ihre Schüler*innen sei, »die sich politisch äußern, betätigen und positionieren«. Außerdem definierten sie sich dort als »antifaschistische Schule«. »Als die Lehrer ihr Statement veröffentlichten, dachte ich mir: Ich bin auf der richtigen Schule«, sagt Hanna ohne ihren Stolz zu verbergen. »Gerade bei der deutschen Geschichte muss Antifaschismus Teil unserer Bildung sein.«

Doch wie kommen junge Menschen eigentlich dazu, sich zu politisch zu engagieren? Bei Lena spielte Politik schon immer eine große Rolle: Ihre Eltern waren früher selbst in linken Gruppen aktiv, sie wohnt im linksalternativen Stadtteil St. Pauli. Bei Hanna ist das anders. Ihre Eltern seien »super bürgerlich«, Politik spiele zu Hause kaum ein Rolle. Zwar seien ihre Eltern auch gegen die AfD, mit Antifa könnten sie aber auch nicht viel anfangen. Politisiert hat sie sich durch ihre Schwester - und den Hamburger Rapper Disastar.

Viele Dinge stören die beiden an der linken Szene. »Mich nervt das Abgrenzungsbedürfnis«, sagt Lena. »Viele halten sich für die Tollsten und Klügsten. Oft bekommen wir zu hören, dass wir sowieso keine Ahnung hätten.« Auch Hanna nervt die Arroganz einiger Linker. »Dein FCKNZS-Pulli macht dich nicht zu einem besseren Menschen. Auch mit Hemd und weißer Hose kann man Antifa sein«, sagt Hanna, die einen Ralph-Lauren-Pullover, Kreolen und ums Handgelenk ein Haarband trägt. Die Debatte um eine vermeintliche Entpolitisierung der »Generation Instagram« können die beiden nicht mehr hören. Lena meint: »Unsere Generation wird wieder politischer - und das ist gut so.«

Die Schüler*innen habe der Streit mit der AfD zusammengeschweißt. Viele Mitschüler*innen engagierten sich nun politisch. »Hier gibt es Sechstklässler, die mit Anti-Nazi-Pulli rumlaufen. Wie geil ist das denn?« Und auch andere Schulen solidarisierten sich mit der Ida-Ehre-Schule. Ende März organisierte die Antifa Altona Ost eine Demonstration in der Hansestadt. 3000 Menschen gingen unter dem Motto »Antifaschismus ist kein Verbrechen« auf die Straße - auch viele Eltern waren dabei. »Der Begriff Antifa wird seit der Auseinandersetzung mit der AfD ganz anders aufgenommen. Man kommt weg von dem kriminellen Image. Das ist gut«, sagt Lena. Auch viele Medien ruderten nach der anfänglichen einseitigen Berichterstattung zurück.

Doch ist die Ida Ehre wirklich die »Antifa-Schule«, wie sie oft bezeichnet wird? »Wir haben hier die ganze Bandbreite«, meint Segelken. »Von Schülern mit Interesse an autonomen Bewegungen bis zu wertkonservativen Schülern, an deren Familienbildern Horst Seehofer seine helle Freude hätte.« Wichtig sei es der Pädagogin, dass alle ihre Vorstellungen einbringen können - unabhängig von der politischen Meinung. Rote Linien gebe es trotzdem: Rassistische und sexistische Positionen werden nicht geduldet.

Und wie geht es für Lena und Hanna weiter? »BWL studieren«, meint Lena und lacht. »Nein, Spaß, erst einmal das Abitur bestehen. Und wir werden natürlich weiter gegen Rassismus und Faschismus kämpfen - an der Schule und außerhalb.« Dann läutet der Gong und beide müssen los zum Sportunterricht.

Ida-Ehre-Schule: Eine Schule gegen die AfD

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Diese Reportage erschien zuerst bei Supernova.

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