Die Mahnerinnen

nd-Serie zum Grundgesetz: Die Aktivistinnen von Women in Exile mahnen, dass Grundrechte für alle gelten müssen

Elisabeth Ngari lebt schon seit 23 Jahren in Deutschland. Und noch immer erlebt sie Momente, in denen im Bus niemand neben ihr sitzen will oder sie im Laden nicht bedient wird - »wegen meiner schwarzen Hautfarbe«, sagt sie. Das gab es in Prenzlau im nordbrandenburgischen Landkreis Uckermark, wo die Kenianerin einst mit ihren zwei Töchtern in einem Asylbewerberheim untergebracht war, aber auch in Berlin, wo sie jetzt lebt.

Dabei besagt das Grundgesetz im Artikel 3, dass alle Menschen gleichberechtigt seien. Niemand dürfe etwa wegen seiner Abstammung benachteiligt oder bevorzugt werden. »Das hört sich natürlich erst mal gut an«, sagt die Mittfünfzigerin. Es sei wichtig, Normen vorzugeben. Aber tatsächlich sei Alltagsrassismus in Deutschland weit verbreitet. Menschen mit weißer Hautfarbe mag das nicht so auffallen. Aber die sind davon auch nicht betroffen.

Keine Privatsphäre

Elisabeth Ngari gehörte im Jahr 2002 zu den Gründerinnen der Initiative Women in Exile, die Frauen in Flüchtlingsheimen unterstützt. Sie kennt die Zustände in den Sammellagern, schließlich hat sie die Enge, die fehlende Privatsphäre am eigenen Leib erfahren. Küche und Bad teilten sich dort viele. Sexuelle Belästigung habe es ständig gegeben, erinnert sie sich. Ihren Neuanfang in Deutschland hatte sie sich anders vorgestellt. Sie hoffte, nur ein paar Monate in dem Heim in Prenzlau bleiben zu müssen. Es wurden fünf Jahre. Lange musste sie auch auf eine Aufenthaltsgenehmigung warten. Natürlich war sie enttäuscht.

Wer flüchten muss und nach Deutschland kommt, sei in vielerlei Hinsicht entrechtet, meinen Elisabeth Ngari und ihre Mitstreiterinnen Jane Wangari und Carolina García Cataño. »Sie dürfen sich oft nur eingeschränkt bewegen, haben einen miserablen Zugang zu Ärzten; sie werden mit Gutscheinen abgespeist und warten oft vergebens auf eine Arbeitserlaubnis«, erklärt Elisabeth Ngari, mit leiser, aber fester Stimme auf Englisch.

Die Frauen von Women in Exile sehen eine Lücke klaffen zwischen dem Anspruch der Bundesrepublik, gleiche Rechte für alle zu gewährleisten, und der hässlichen Wirklichkeit, in der es de facto »Menschen zweiter Klasse« gebe. Dazu zählen sie Asylbewerber, aber auch Personen, die sich illegal in Deutschland aufhalten und keine Papiere haben. »Wir müssen immer wieder auf die Grundrechte pochen und daran erinnern, dass sie eingehalten werden«, sagt Elisabeth Ngari. »Das ist unsere Aufgabe.«

Geflüchtete als Sündenböcke

Die Aktivistinnen von Women in Exile waren überrascht, als nach dem Anstieg der Flüchtlingszahlen 2015 die Diskussionen rau wurden und der Hass gegen Fremde zunahm. »Selbst Politiker der politischen Mitte fingen auf einmal an, jenen nach dem Mund zu reden, die sich für die AfD starkmachten«, erinnert sich Jane Wangari. »Um den rechten Mob auf der Straße zu besänftigen, wurden letztlich Gesetze verabschiedet, die Geflüchteten das Leben noch schwerer machen als ohnehin schon.« Flüchtlinge würden zu Sündenböcken gemacht, stellt die 32-Jährige fest. Zwei Anti-Asyl-Pakete hat der Bundestag 2015 und 2016 auf den Weg gebracht. Die neuen Gesetze erleichtern Abschiebungen, verhindern den Nachzug von Familienmitgliedern und lassen eine Kasernierung von Asylsuchenden zu. Vieles, was die hartnäckige Flüchtlingsbewegung vom Berliner Oranienplatz in den Jahren zuvor erreicht hatte, etwa eine Lockerung der Residenzpflicht oder die Einstellung der Gutscheinausgabe anstelle von Bargeld, wurde wieder rückgängig gemacht.

Es dauerte, bis es einen Aufschrei gegen diese Entwicklung gab. »Natürlich haben uns die Massenproteste im vergangenen Jahr gefreut - als mit ›We’ll Come United‹ in Hamburg oder ›Unteilbar‹ in Berlin so viele Menschen auf die Straße gingen. Das war schon ein Ausrufezeichen«, sagt Jane Wangari. »Aber die Demos waren nur punktuelle Events«, merkt Carolina García Cataño an und fügt hinzu: »Wie die Menschen in den Lagern isoliert vor sich hinvegetieren, da guckt kaum wer hin.«

Women in Exile versucht, die speziellen Probleme von Frauen in den Flüchtlingsheimen sichtbar zu machen. Die Initiative bietet eine Plattform zur politischen Selbstorganisation. Im vorigen Jahr startete sie eine Bustour in Süddeutschland, um Frauen zu besuchen, die in sogenannten Ankerzentren ausharren müssen. »Nach den sexistischen Silvesterausschreitungen in Köln zum Jahreswechsel 2015/16 hat es einen großen Aufschrei gegeben«, sagt Elisabeth Ngari. »Dort waren vor allem einheimische Frauen die Leidtragenden. Welchen Gefahren aber Frauen in den Lagern ausgesetzt sind, darüber wird viel zu oft geschwiegen.«

Dabei ist das Problem längst bekannt. Das Bundesfamilienministerium hat Anfang 2016 ein Gesetz auf den Weg gebracht, das Frauen in den Wohnheimen besser vor sexuellem Missbrauch und Gewalt von männlichen Bewohnern schützen soll. Rückzugsräume für Frauen wurden mit staatlichen Mitteln geschaffen und getrennte Sanitäranlagen eingerichtet. »Die Maßnahme war ein Anfang«, meint Elisabeth Ngari. »Aber Grundlegendes hat sich nicht geändert.«

Protest gegen Internierung

Die Frauen von Women in Exile wollen ein generelles Ende der Unterbringung in Heimen. Das ist eine ihrer zentralen Forderungen. Vor allem Frauen müssten mit Wohnungen versorgt werden, verlangen sie. Die Aktivistinnen sprechen auch nicht von Sammelunterkünften oder »Ankerzentren«, wie Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) das seit geraumer Zeit macht, sondern schlicht von Lagern. Die Aktivistinnen mögen keine Ausdrücke, die unhaltbare Zustände beschönigen. Das Wort Ankerzentrum etwa suggeriert, dass die Kasernierten dort Halt finden könnten. Aber tatsächlich kommen Geflüchtete dorthin, damit sie einfacher verwaltet und besser überwacht werden können. Ein Untertauchen soll so effektiv unterbunden werden. »Die Menschen dort werden separiert von der Gesellschaft, sie müssen warten und ausharren. Aber wie sollen sie sich dann öffnen und integrieren?«, fragt Carolina García Cataño.

»Dass sich Geflüchtete hier einbringen, ist doch gar nicht erwünscht«, antwortet Elisabeth Ngari. »Ankerzentren dienen der Abschreckung, um bloß keine Anreize zu schaffen, nach Deutschland zu kommen. Das Verhalten gegenüber den Asylsuchenden ist respektlos«, betont sie und erinnert an den Artikel 1 des Grundgesetzes, nach dem die Würde des Menschen unantastbar sei.

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