nd-aktuell.de / 02.05.2019 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 7

Paralleljustiz freigegeben

EuGH-Gutachten bestätigt CETA-Gericht - Kritik an Sonderklagerechten für Konzerne

Peter Eßer

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat keinerlei Einwände gegen das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (CETA). Das erklärten die Richter des in Luxemburg ansässigen Gerichts in einem Gutachten. Die Juristen hatten sich mit dem in CETA enthaltenen System zur Streitschlichtung zwischen Investoren und Staaten beschäftigt. Das Abkommen sieht vor, dass dafür ein spezieller Investitionsgerichtshof eingerichtet wird.

Ursprünglich war vorgesehen, dass in Fällen, wenn etwa ein kanadisches Unternehmen seine Investitionen in Europa durch ein nationales oder EU-Gesetz gefährdet sieht, private Schiedsgerichte zum Einsatz kommen. Derartige Organe sind höchst umstritten, weil Konzerne so unter Umständen mittels nicht demokratisch legitimierter Stellen unliebsame Gesetze aushebeln könnten. So hatte in der Vergangenheit der Tabak-Konzern Philip Morris im Streit mit Uruguay um dessen Anti-Tabak-Politik von einem privaten Schiedsgericht Recht bekommen.

Wegen enormer Proteste wurden private Schiedsgerichte im Vertragstext schließlich durch ein permanentes CETA-Gericht ersetzt. Professionelle Richter und eine feste Berufungsinstanz sollen in Streitfällen entscheiden. Vielen Kritikern reicht das nicht. 2016 war es die Regierung der französischsprachigen Region Belgiens, die ihre Unterschrift unter dem fertig ausgehandelten Abkommen verweigerte. Eines der Zugeständnisse, um die Wallonen zum Einlenken zu bewegen, war die Zusicherung, dass der EuGH sich damit befassen werde.

Diese Prüfung ist nun abgeschlossen: Die EU-Richter halten die gefundene Lösung für vereinbar mit dem Recht der Union. Dem vorgesehenen CETA-Gericht seien enge Grenzen gesetzt. So dürften nur die Vorschriften des Abkommens ausgelegt und angewandt werden, nicht aber darüber hinausgehende Vorschriften des Unionsrechts, heißt es. Auch sei festgeschrieben, dass das CETA-Gericht keine demokratisch getroffenen Entscheidungen in Frage stellen dürfe. Dies gelte »insbesondere« für sensible Bereiche wie den Umwelt- und Verbraucherschutz oder die Sicherheit am Arbeitsplatz. Der Vertragstext stelle sicher, dass der Gang vor das CETA-Gericht nicht nur Großkonzernen, sondern auch kleineren Unternehmen möglich ist.

In Anwendung ist das Freihandelsabkommen ohnehin schon. CETA war 2017, ein Jahr nach der Unterzeichnung, vorläufig in Kraft getreten. Unabhängig von der ausstehenden Überprüfung durch den EuGH ist nur das Streitbeilegungssystem bislang ausgenommen. Dieser Teil übersteigt die auf Handelspolitik beschränkte Kompetenz der EU; der gesamte Vertragstext muss daher auch auf nationaler Ebene durch die Parlamente der Mitgliedstaaten ratifiziert werden.

Bislang liegt diese endgültige Annahme aus zwölf von 28 EU-Ländern vor. Die positive Bewertung aus Luxemburg dürfte den Prozess beschleunigen. Auch in Belgien, Österreich und Deutschland war die Entscheidung mit Verweis auf das ausstehende Gutachten vertagt worden. Der österreichische Präsident Alexander van der Bellen kündigte am Dienstag an, er werde »das Abkommen unterschreiben«.

»Ich kann die Entscheidung des Gerichtshofs nur begrüßen«, erklärte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Ein einziges negatives Votum einer Volksversammlung könnte das bereits in der Anwendung befindliche Vertragswerk noch kippen. Dieses Risiko hat sich mit dem EuGH-Gutachten deutlich verringert. Auch der handelspolitische Sprecher der Europa-SPD, Bernd Lange, begrüßte das Gutachten: Der Streitbeilegungsmechanismus sei als »öffentlich-rechtliche Antwort auf private und intransparente Schiedsstellen« der richtige Weg.

Kritiker des Freihandelsabkommens zeigten sich enttäuscht. »Der EuGH lässt die im CETA-Abkommen vorgesehene Regelung zu, die ausländischen Konzernen Sonderklagerechte einräumt«, kritisierte der transatlantische Sprecher der Europa-Grünen, Reinhard Bütikofer. Auch die Umweltorganisation Friends of the Earth hält es für nicht vermittelbar, dass »Unternehmen wegen Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsrichtlinien und -standards gerichtlich gegen Regierungen vorgehen können, während dieser Weg Opfern von Wirtschaftskriminalität nicht offensteht«.