Daten für die Städte

Furcht vor einer digitalen Gesellschaft gibt es auf der Netzkonferenz re:publica nicht

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Es geht die Angst um vor Datenkraken und Ausspähungssoftware. Die Angst ist berechtigt. Ausgespäht wird, und Konzerne wie Google, Facebook & Co. nutzen ihre Datenmonopole vor allem zur Entwicklung von Projekten, die ihre Profite erhöhen - und die sie dann auch an den Finanzämtern der Länder, in denen sie aktiv sind, vorbeischleusen. Ein digitaler Ausbeutungsprozess par excellence also. Auf der Netzkonferenz re:publica, die am Montag in Berlin eröffnet wurde, wurde dies natürlich kritisiert. »Wir müssten das Internet eigentlich abschaffen, so kaputt ist es«, meinte trocken re:publica-Mitbegründer Markus Beckedahl.

Angst vor Daten im Allgemeinen gibt es auf der Netzkonferenz aber eher nicht. Vielmehr geht es um eine differenzierte Debatte über Umgang mit ihnen, den Zugang zu ihnen und den Besitzverhältnissen an ihnen. Unter dem Stichwort »Städte und Mobilität« widmet sich ein Subbereich der re:publica dem Nutzen, die vor allem Verkehrsdaten den Städten, ihren Verwaltungen sowie deren Bewohnern und Besuchern bringen könnten.

Vorreiter dabei sind skandinavische Städte. Der kanadisch-dänische Urbanist Mikael Colville-Andersen blickt auf seine Heimatstadt Kopenhagen. Dort analysiert die Stadtverwaltung seit 2012 Bewegungsdaten von Verkehrsteilnehmern. Aufgrund dieser Daten konnte das Radwegsystem an den Bewegungsroutinen von Radfahrern ausgerichtet werden. Das hat zu einer stärkeren Nutzung des Rads bei alltäglichen Wegen geführt. »42 Prozent aller Verkehrsteilnehmer aus der näheren Umgebung Kopenhagens nutzen bereits das Fahrrad. In der Innenstadt sind es 63 Prozent. Und 75 Prozent aller Politiker nutzen es«, erklärt Colville-Andersen. Regelmäßige Befragungen der Stadtverwaltung ergaben zudem, dass der Hauptgrund, das Rad zu nutzen, nicht ökologische Einsicht oder ökonomische Kalkulationen waren, sondern die Möglichkeit, schnell von einem Ort zum anderen zu gelangen.

Dazu braucht es dann allerdings auch die geeignete und vor allem vernetzte Infrastruktur. »Berlin ist für einen an Kopenhagen gewöhnten Radfahrer ein Graus. Radwege, die im Nichts enden. Autos, die aus allen Richtungen kommen«, klagt der Urbanist aus dem Norden über die eher mangelhafte physische Infrastruktur im hiesigen Stadtraum.

Zu dieser physischen Infrastruktur muss sich noch die geeignete digitale Infrastruktur gesellen. Städte etwa benötigen Mobilitätsdaten für ihre Planungen. Kopenhagens Mobility-Index ist so ein Beispiel.

Bewohner und Besucher können besser aufs Auto verzichten, wenn sie bei ihrer Wegeplanung die vernetzten Daten von Öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV), Sharingdiensten von Autos, Rollern und Fahrrädern und auch von Mitfahrzentralen nutzen können. Helsinki ist hier schon recht weit mit dem Digitransit-Portal.

Stefan Kaufmann, ein einstiger Open Data-Aktivist, der aktuell für die Stadtverwaltung Ulm arbeitet, stellte in seinem Vortrag diverse Instrumente zur Verknüpfung von Daten verschiedenster Mobilitätsanbieter vor, die Städte schon jetzt nutzen können. Karlsruhe etwa hat bereits ein Mobilitätsportal, das Radwege, Buslinien und Schifffahrtslinien aufzeigt, auf Baustellen hinweist und auch auf vom Schnee geräumte Straßen. Orte, an denen Leihräder zur Verfügung stehen, werden ebenfalls gezeigt. Die Mitfahrdezentrale wiederum will Mitfahrgelegenheiten mit dem öffentlichen Nahverkehr vernetzen. »So bekommen wir den letzten Kilometer hin, vor allem in ländlichen Gebieten mit schlecht ausgebautem ÖPNV«, meinte Kaufmann.

Die Initiative Radforschung arbeitet derzeit an einer Technologie, die es erlaubt, das eigene Rad auch zum Leihverkehr freizugeben, und damit zum Baustein eines alternativen Leihsystems zu machen. »Hier werden die Schlösser der Bikesharing-Dienste aufgeschraubt, um ein Schloss entwickeln zu können, das dann das Verleihen des eigenen Rads ermöglicht«, meint Kaufmann.

Generell plädiert er für die Zurverfügungstellung von Daten, nicht nur von den kommunalen Verkehrsunternehmen, sondern auch von den kommerziellen Sharingdiensten. »Die wehren sich noch, sitzen auf ihren Daten. Städte könnten ihnen aber die Bedingung stellen, dass sie ihre Dienste nur dann anbieten können, wenn sie auch die Daten teilen«, sagt Kaufmann. Städte haben also Gestaltungsmacht. Kaufmann wehrt sich vehement gegen die Vorstellung, dass neue kommerzielle Apps die Probleme der Städte lösen könnten. »Sie gehen nicht systemisch vor, kreieren meist neue Probleme und haben in erster Linie zahlungskräftige Kundschaft im Auge, nicht aber die gesamte städtische Bevölkerung«, meinte er.

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