Nicht mehr sakrosankt

Ethikrat hält Eingriffe in das Erbgut von Embryonen noch für zu riskant, will sie aber nicht generell ausschließen

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 4 Min.

Unter genetisch veränderten Organismen (GVO) stellten sich Interessierte lange Zeit eher Mais- oder Sojasorten vor. Relativ überraschend kam dann die Nachricht aus China, dass der Wissenschaftler He Yiankui bei mehreren menschlichen Embryonen das Erbgut verändert hatte. Er hätte damit also die ersten menschlichen GVO geschaffen. Die Babys seien nun geboren, teilte der Chinese am 26. November 2018 der Welt via YouTube mit. Dieses Datum sollte man sich merken, so die Intention von Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates.

Die Nachricht aus China kam überraschend, aber auch nicht völlig aus dem Nichts. Schon 2015 hatte es Informationen darüber gegeben, dass chinesische Wissenschaftler an nicht lebensfähigen Embryonen Grundlagenforschung zur Veränderung des Erbgutes betrieben hatten. Jedenfalls nahm der Deutsche Ethikrat diese eher noch fragwürdigen Forschungsansätze zum Anlass, seine Jahrestagung 2016 unter das Motto »Zugriff auf das menschliche Erbgut. Neue Möglichkeiten und ihre Beurteilung« zu stellen. 2017 dann erfolgte seitens US-amerikanischer Wissenschaftler die Aufweichung des bis dahin bestehenden ethischen Konsenses für das Forschungsfeld. Plötzlich waren Keimbahninterventionen erlaubt, wenn die Risiken - auch unter Berücksichtigung der öffentlichen Meinung - beherrschbar erschienen. Der Deutsche Ethikrat begann noch in gleichem Jahr mit der Arbeit an einer Stellungnahme zum Thema. Sie wurde am Donnerstag in Berlin vorgestellt. Den über 200 Seiten starken Bericht hatte eine Arbeitsgruppe von 18 Mitgliedern des Ethikrates geschrieben, auch im Plenum des Rates war darüber mehrfach diskutiert worden.

Prinzipiell hält das Gremium aus Theologen, Medizinern, Juristen, Philosophen und Naturwissenschaftlern die menschliche Keimbahn nicht für unantastbar. Diese Abfolge von Zellen beginnt sehr früh schon bei der befruchteten Eizelle. Am Ende führt sie zur Bildung eigener Keimzellen des neuen Individuums. Sie enthält von Anfang an alle Erbinformationen. Hier in das Genom einzugreifen, sei wegen der heute noch unabsehbaren Risiken unverantwortlich. Deshalb fordert der Ethikrat ein Anwendungsmoratorium und empfiehlt Bundesregierung wie Bundestag, sich für eine verbindliche internationale Vereinbarung dazu einzusetzen.

Das hört sich an wie eine relativ klare Entscheidung, jedoch hat der Rat es sich nicht einfach gemacht. Es gab und gibt durchaus auch Konflikte und Minderheitsmeinungen. All diese Elemente sind in der Stellungnahme enthalten. Konsens war laut Arbeitsgruppenleiterin Alena Buyx, Medizinerin und Philosophin an der TU München, dass zunächst acht ethische Orientierungsmaßstäbe gefunden wurden, nach denen die Forschungen an der Keimbahn und die späteren Anwendungen bewertet werden sollen. Dazu gehören unter anderem Menschenwürde, Lebens- und Integritätsschutz, aber auch Natürlichkeit, Gerechtigkeit, Solidarität und Verantwortung. Einig ist sich der Rat auch darin, dass es nicht nur um eine enge Abwägung von Chancen und Risiken gehen kann. Künftige politischen Entscheidungen zum Thema müssten »ethisch umfassend« bewertet werden. Zudem sei die Voraussetzung aller künftigen Eingriffe eine ausreichende Sicherheit und Wirksamkeit. Schon dieses Kriterium hängt die Latte sehr hoch: Damit sind die Manipulationen am Genom dann nicht erlaubt, wenn Schäden wahrscheinlich sind oder das beabsichtigte Ziel nur mit geringer Sicherheit erreicht werden kann.

Dass es auch Konflikte und Kon-troversen gab, ist bei der Vielfalt der Positionen im Ethikrat naheliegend. Dazu gehört auch der Standpunkt, dass nicht alle Mitglieder Keimbahneingriffe überhaupt für sinnvoll halten. Als Beispiel nannte der Theologe Andreas Lob-Hüdepohl eine Anwendung der Keimbahnintervention bei Krankheiten, denen ursächlich nur ein »falsches« Gen zugrunde liegt, eigentlich genau das Feld, das vielen ethisch vertretbar und sinnvoll erscheint. Zu dieser Gruppe von Leiden gehört die Soffwechselkrankheit Mukoviszidose. Deren Vermeidung ließe sich aber mit weniger Aufwand und Risiko erreichen, denn bei der schon heute möglichen Befruchtung der Eizelle außerhalb des Körpers der Mutter könnten per Diagnostik die Em-bryonen ohne Krankheitsanlage ausgewählt werden. Das sei sicherer, als Keimbahneingriffe an beschädigten Embryonen vorzunehmen.

Bevor dieses Stadium der Anwendung erreicht ist, wäre jedoch noch viel Forschung nötig, ergänzt Peter Dabrock. Auch hier ergeben sich Konflikte, wie etwa der, dass die Forschung an Embryonen in Deutschland nach einem strengen Schutzgesetz verboten ist, es jedoch einige Umgehungsstrategien gebe - zum Beispiel die Forschung an embryoähnlichen Zellkulturen.

Empfohlen wird vom Ethikrat unter anderem ein Anwendungsmoratorium, dessen Wirksamkeit aber fraglich erscheint, zumal dann, wenn Nationen partout die Forschungsführung übernehmen wollen. Alena Buyx verteidigt das Instrument, denn wenn Wissenschaftler die damit festgelegte rote Linie überschreiten, könnten sie nicht mehr publizieren und auch nicht mehr öffentlich gefördert werden. »Das ist schon sehr viel«, betont die Medizinethikerin. Aber auch dieses Instrument müsse international etabliert werden.

Eine neue Technik wie die Gen-Schere CRISPR/Cas wirft mit jeder Anwendung irgendwo auf dem Globus auch Fragen nach dem Sinn solcher Forschung auf. Der Ethikrat sieht angesichts der noch vereinzelten Forschungsergebnisse die Notwendigkeit, sich vorsorglich mit Folgen, Potenzialen und Risiken absehbarer Techniken zu beschäftigten, auch wegen der »ungeheuren Dynamik im Feld«, wie Peter Dabrock die Situation beschrieb. Dazu seien letztendlich sowohl nationale Debatten nötig als auch internationale Konferenzen, ähnlich wie die zum Klimawandel.

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