Was aus Cottbus wurde und warum

Ein Opferberater und ein Wissenschaftler haben den Rechtsruck in der Stadt analysiert

Hamid und Mustafa sind gerade erwachsen geworden. Als Jugendliche sind sie vor dem Bürgerkrieg aus Syrien nach Cottbus geflüchtet. Dort leben sie inzwischen auch nicht mehr gefahrlos. Die Abneigung der Einheimischen beschränkt sich nicht auf böse Blicke. Ständig bekommen Hamid und Mustafa zu hören: »Das ist nicht euer Land, geht nach Hause.« Sie werden beleidigt. Darauf reagieren sie wie andere Flüchtlinge in der Stadt mit der Strategie: Lächeln, grüßen und so tun, als hätten sie nichts verstanden. »Vor zwei Jahren etwa war es noch okay«, erinnert sich Hamid. »Vielleicht ein Drittel der Menschen mochte uns nicht. Jetzt habe ich das Gefühl, 80 Prozent der Menschen sind gegen uns.«

Joschka Fröschner arbeitet für den Verein Opferperspektive und berät im Süden Brandenburgs Opfer rechter Gewalt. Gespräche wie die mit Hamid und Mustafa hat er etliche geführt. Er weiß, dass sich viele Flüchtlinge nach Einbruch der Dunkelheit in Cottbus nicht mehr auf die Straße trauen. Wenn sie noch etwas aus einem Geschäft benötigen, bitten sie Nachbarn, dies für sie zu besorgen, oder sie laufen zumindest nicht allein los. Als besonders bedrohlich empfinden sie die Situation an den Tagen, an denen der asylfeindliche Verein »Zukunft Heimat« demonstriert.

Dabei ist es tatsächlich gar nicht so lange her, dass Cottbus ganz anders zu sein schien und Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU) fragte, wann denn nun endlich das Land Brandenburg die Flüchtlinge herschicke, für die alles vorbereitet sei.

Marschierte die NPD am 15. Februar zum Jahrestag der Bombardierung von Cottbus während des Zweiten Weltkriegs, dann waren die Gegendemonstrationen so groß, dass sich das Häufchen Neonazis dagegen klein ausnahm. Noch bei der Landtagswahl 2014 erzielte die AfD mit 7,2 Prozent ein unterdurchschnittliches Ergebnis. Landesweit hatte sie damals 12,2 Prozent bekommen. Doch schon bei der Bundestagswahl 2017 erreichte die AfD in der Stadt 24,3 Prozent und damit ihr bestes Ergebnis im Land Brandenburg. Im Oktober 2018 ergab eine Umfrage, dass 30 Prozent der Cottbuser die AfD wählen wollen. Damit würde die Partei bei der Kommunalwahl am kommenden Sonntag höchstwahrscheinlich die stärkste Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung werden.

Was ist nur mit Cottbus geschehen? Joschka Fröschner ist dieser Frage nachgegangen. Gemeinsam mit dem jungen Wissenschaftler Jakob Warnecke hat er eine mit 87 Seiten doch ziemlich umfängliche Broschüre verfasst. Sie trägt den Titel: »Was interessiert mich denn Cottbus?« Diese Zeile entstammt einem Gedicht von Adolf Endler (1930-2009). Finanziert und in einer Startauflage von 1500 Exemplaren herausgegeben wurde die Broschüre von der Rosa-Luxemburg-Stiftung und vom Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Sie sollte am Donnerstagabend in der Bibliothek des Oberstufenszentrums Cottbus vorgestellt werden. Nachzulesen ist der Text mit Fotos von Thomas Richert außerdem im Internet unter aktionsbuendnis-brandenburg.de.

Das Interesse an Cottbus war zwischenzeitlich sehr groß wegen der Dinge, die sich dort abspielten. Der Oberbürgermeister beschwerte sich mittlerweile, dass seine Kommune schlechtgemacht werde. Doch er selbst, seine Stadtverwaltung und durchaus auch Presse, Funk und Fernsehen haben aus Sicht von Fröschner und Warnecke das Ihre dazu beigetragen. So werde zu viel über Schwierigkeiten bei der Integration berichtet, als gäbe es keine anderen, wichtigeren Probleme, und es werde zu wenig gehört, was die Geflüchteten sagen. Teilweise ließen sich Politiker und Journalisten bewusst oder unbewusst das Vokabular und die Sichtweise von Rassisten aufdrängen, die sich als besorgte Bürger getarnt hatten.

Präzise und anschaulich schildern die Autoren anhand vieler Beispiele, was zwischenzeitlich fast in Vergessenheit geraten war: Dass Cottbus bereits in den 1990er Jahren und in mehreren Wellen auch danach Probleme mit der rechten Szene hatte, wie Rechtsrocker und Kampfsportler ihr Unwesen trieben, wie das Wachschutzgewerbe unterwandert wurde.

Die Broschüre berichtet, wie der kleine Verein »Pro Zützen« aus dem gleichnamigen Dorf bei Golßen im Spreewald mit Protesten gegen die Unterbringung von Asylbewerbern in vier Wohnblocks im Ort begonnen hat. Nachdem die Flüchtlinge dort waren, soll sich die Aufregung wie anderswo auch gelegt haben. Es gab dann auch Gesten des Willkommens. Es seien 165 Weihnachtspakete für Flüchtlinge geschnürt worden. »Pro Zützen« benannte sich um in »Zukunft Heimat« und dehnte seinen Aktionsradius in andere Städte aus, tastete sich an Cottbus heran und erlebte dort seinen Höhepunkt. Mit Christoph Berndt wird der Vereinsvorsitzende am 1. September 2019 in den Landtag einziehen. Es kann gar nicht anders sein, da er bei der AfD auf dem sicheren Listenplatz zwei steht.

Als die Beteiligung von Einwohnern der Stadt Cottbus an den Kundgebungen und Demonstrationen erlahmte, füllten Menschen die Reihen, die bei den Pegida-Spaziergängen in Dresden mitliefen und extra nach Cottbus anreisten, heißt es. Doch ohne Zweifel grassieren auch unter den Einwohnern rassistische Ressentiments.

Gerechtigkeit lässt die Broschüre allerdings jenen Cottbusern widerfahren, die sich um ein tolerantes Miteinander in ihrer Heimat bemühen. Es sind gar nicht so wenige. Doch die klassische basisdemokratische Mobilisierung, die genügte, die NPD in die Schranken zu weisen, reiche nicht aus, »einen starken Gegenpol zu AfD und zur Neuen Rechten zu bilden«, wird ein Aktivisten des Bündnisses »Cottbus nazifrei« zitiert. Er denkt: »Dafür brauchen wir Strukturen, die wirklich kontinuierlich arbeiten und ein breiteres inhaltliches Fundament haben.« Seite 11

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