nd-aktuell.de / 28.05.2019 / Kommentare

Das linke Wahldesaster in Europa

Strömungsübergreifend haben linke Parteien bei der EU-Wahlen verloren. Ein nachhaltiger Neuaufschwung verlangt nach einem neuen Politik-Modell, findet Florian Wilde

Florian Wilde

Die Europawahlen endeten für die Linksparteien in einem wahren Desaster. Noch bei den Wahlen 2014 war das Bild ein ganz anderes gewesen: Die Massenproteste nach Ausbruch der Krise, Generalstreiks und Platzbesetzungen hatten zu einem starken Aufschwung der Linkskräfte geführt, die damals angeführt von ihrem Spitzenkandidaten Alexis Tsipras um 14 auf 52 Sitze in Brüssel zulegten. Damals schienen linke Parteien in mehreren Ländern kurz vor der Regierungsübernahme zu stehen und in Griechenland stellte bald darauf erstmals seit Jahrzehnten tatsächlich eine Linkspartei in Europa die Regierung.

Doch mit der Niederlage und Kapitulation von Syriza zerbrach das Momentum der Linken in Europa, ein neuer Niedergang setzte ein, der mit nun nur noch 39 Sitzen in Brüssel für die GUE/NGL seinen vorläufigen Tiefpunkt erreicht.

Bitter ist, wie viele Formationen überhaupt nicht den Sprung ins EU-Parlament schafften: Die italienische La Sinistra ist mit 1,7 Prozent (nach 4 Prozent und 3 Sitzen 2014 für ihren Vorläufer) aus dem Europaparlament geflogen, ebenso die sozialistische Partei der Niederlande, die erstmals keinen Sitz mehr erhält, ebensowenig wie die französische PCF (Sie bekommt nicht einmal die Wahlkampfkosten erstattet, denn die gibt es erst ab 3 Prozent).

Auch die slowenische Linkspartei Levica kam zwar auf ein gutes Ergebnis, erhielt aber wieder keinen Sitz und die Spitzenkandidatin Violeta Tomic wird nicht ins Europaparlament einziehen. Sie war unsere große Hoffnung für Osteuropa: Eine junge linke Frau aus Slowenien im Parlament, die zum Aushängeschild und Türöffner für Linke in Osteuropa hätte werden sollen. Somit hat die Europäische Linke überhaupt nur noch einen einzigen Abgeordneten aus Osteuropa: einen Vertreter der eher traditionellen KP Böhmens und Mährens, die ihrerseits 2 ihrer vorher 3 Sitze verlor.

Die großen Linksparteien in Deutschland, Spanien, Frankreich haben alle schwach abgeschnitten und zum Teil massiv Federn gelassen. Unsere stärksten Kräfte bleiben AKEL in Zypern und SYRIZA in Griechenland - trotzdem empfand Tsipras das dortige Ergebnis als Niederlage und kündigte Neuwahlen an, die voraussichtlich zu einem Ende der einzigen von einer linken Partei in Europa geführten Regierung führen werden. Selbst in Portugal wird die Freude über einen zweiten Sitz für den Linksblock durch den Verlust von einem der 3 Sitze der Kommunisten getrübt, und auch in Irland und Finnland erlitten Linksparteien Verluste, während die Zugewinne der schwedischen Linkspartei nicht für einen zusätzlichen Sitz ausreichten.

Den einzigen echten Grund zur Freude lieferte am Wahlabend die belgische PTB, die nun erstmals ins Europaparlament einziehen wird und auch bei den belgischen Parlaments- und Regionalwahlen stark abschnitt. Doch was ist das im Vergleich zum Einbrechen von Labour in Großbritannien auf knappe 15 Prozent, wo der Brexit-Schlamassel alle Hoffnungen auf eine Corbyn-geführte Linksregierung bis auf weiteres zu begraben scheint?

Die »revolutionäre« Linke kann von der Krise der »linksreformistischen« Parteien überhaupt nicht profitieren, ihre Ergebnisse in Frankreich (LO 0,8 Prozent) und Griechenland (0,7 Prozent Antarsya, 0,6 Prozent für die Syriza-Linksabspaltung LAE) sind erbärmlich, und in Irland ging der Sitz verloren.

In Deutschland konnte die LINKE zwar im Westen fast überall Stimmen dazugewinnen, die Verluste im Osten waren aber so stark, dass die Partei insgesamt auch in absoluten Zahlen - und sowieso überall prozentual - verlor und mit 5,5 Prozent und nur noch 5 EU-Abgeordneten ein trauriges Ergebnis erzielte. Erfreulich natürlich das Ergebnis der LINKEN in Bremen, wo die Partei im Westen erstmals zweistellig bei einer Landtagswahl abschneidet. Bei den spanischen Kommunalwahlen gingen hingegen in Barcelona, Madrid und anderen Städten die bewegungslinken Mehrheiten verloren (Sie konnte aber in Cadiz verteidigt werden).

Alle linken Strömungen sind betroffen

Die Niederlage der Linkskräfte ist umfassend und trifft sowohl die besonders europaskeptischen als auch die besonders europafreundlichen Parteien, sowohl Linkspopulisten wie Linksgrüne und Traditionalisten, sowohl an Regierungen beteiligte wie oppositionelle. Zu befürchten ist, dass die Niederlage zu neuen Verwerfungen, Streitigkeiten, Spaltungen und weiterer Schwächung führen wird.

Und so richtig düster wird das Bild des Wahlwochenendes, wenn man die Ergebnisse der indischen Parlamentswahlen mit einbezieht: dort ist die proto-faschistische Modi-Regierung durchmarschiert und die Linksparteien sind zusammengebrochen und halten nur noch einzelne Sitze im Parlament.

Die einzige Hoffnung im Feld der Wahlen liegt nun ausgerechnet in den USA: Sollte dort mit Bernie Sanders zum ersten Mal überhaupt ein demokratischer Sozialist zum Präsidenten gewählt werden, würde von Washington aus nach dem globalen Rechtsruck durch die Trump-Wahl wohl ein globaler Linksruck durch eine Sanders-Wahl ausgelöst werden. Go, Bernie, save us!

Ein nachhaltiger Neuaufschwung der europäischen Linken hat wohl ein ganz anderes Politik-Modell zur Voraussetzung: Eines, dass auf nachhaltige Verankerung in Alltagskämpfen, Stadtteilen, Betrieben und Gewerkschaften abzielt und die Macht der arbeitenden Klasse langfristig und geduldig von Grund auf neu aufbaut. Ein Partei-Modell, das im Alltag einen ganz praktischen Mehrwert für Menschen, die sich wehren wollen oder müssen, hat. Ein Partei-Modell, das auf Organisierung und nicht und mehr so stark auf Repräsentation setzt. Ein langer und anstrengender Weg, und uns läuft im Angesicht der drohenden Klimakatastrophe die Zeit davon. Aber es gibt da keine Abkürzungen.

Florian Wilde kandidierte auf Listenplatz 20 der LINKEN bei der Europawahl und ist wissenschaftlicher Referent bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung