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Hilflos schluchzende Linke

Die LINKE muss sich nach dem schlechten Resultat bei der Europawahl an die Spitze der Systemopposition stellen, findet Manfred Sohn

  • Manfred Sohn
  • Lesedauer: 3 Min.

»Nationalisten in der EU auf dem Vormarsch« titelte »nd« zu Recht am Dienstag nach den Wahlen zum Europaparlament. Die dominierende Tendenz sowohl in Deutschland als auch in Europa ist die Stärkung der Grünen und der Fraktion, der sie in diesem Straßburger Scheinparlament künftig angehören werden. Der Höhenflug von Robert Habeck und anderen ist nur eine Art Kollateral-Nutzen, den diese ökologischen Kapitalismus-Optimierer aus dem Niedergang der Sozialdemokratie ziehen konnten. Da die Verwesungsmasse der Partei von Willy Brandt unter seinen Nachfolgern stetig abgenommen hat und jetzt nur noch 15 Prozent der Wählermasse beträgt, dürfte der Aufstieg der Grünen endlich sein.

Nützen wird das jedoch wenig. Denn die versammelte Linke, namentlich in Deutschland, wetteifert in fehlerhafter Konsequenz aus dem Wahldesaster vom 26. Mai vermutlich mit dieser neuen Lieblingskraft aller Systemerhalter nun umso eifriger um linke Kapitalismus-Optimierung, die sie immer mehr zum bettelnden Anhängsel von Rest-SPD und der grünen Aufsteigerarroganztruppe macht. Folglich wird sich allem Anschein nach Deutschland vom Osten her immer mehr blau einfärben und sich in nicht allzu ferner Zukunft am Rhein mit der dort schon stärksten Kraft Frankreichs – also Marine Le Pen, der Pariser Gesinnungskameradin von Jörg Meuthen – die Hand reichen können.

Zur Person
Manfred Sohn war von 2008 bis 2013 Mitglied des Landtages in Niedersachsen. 2015 trat er aus der LINKEN aus. Sohn ist Autor des 2017 veröffentlichten Buches »Falsche Feinde – Was tun gegen die AfD? Ein alternativer Ratgeber«.

Kern dieses Dramas der hilflos schluchzenden Linken ist ihre Verkennung dessen, was in der Tiefe unserer Gesellschaft gegenwärtig passiert. Dabei würde es schon helfen, das gute alte »Kapital« von Karl Marx ernster zu nehmen. Denn der Kern seiner Analyse ist ja nicht etwa, dass es in dieser Formation Krisen gebe und unterschiedliche Varianten des Kapitalismus. Der Kern ist vielmehr seine Einsicht – ausgehend vom ersten Band seines Hauptwerkes, prägnant formuliert im dritten und vorher bereits in den »Grundrissen der Kritik der Politischen Ökonomie« –, dass die innere Dynamik dieses Systems dessen eigene Grundlagen untergräbt. Das auf Tauschwirtschaft beruhende System, so der Alte aus Trier, kann aus Geld nur mehr Geld machen (also G‘), indem es einerseits die Produktionsprozesse beständig rationalisiert. Das aber führt andererseits zum Herausdrängen der Ware Arbeitskraft als der einzigen wertbildenden Ware aus diesem Produktionsprozess. Also muss das System aus einem inneren Zwang heraus immer weiter expandieren. Folglich endet der Wahn der Selbstzweckvermehrung erst, wenn alle Teile der Welt und alle Bedürfnisse der Menschen in die Warenform hineingesogen sind.

Aus diesem Grund kann es auch keinen grünen Kapitalismus geben. Stattdessen leben wir in der Epoche, in der dieses System nach Vollendung des Kapitalismus als Weltmarkt und der Verwandlung selbst der Kommunikation in eine Ware in seine finale Krise eingetreten ist. Wenn die grüne Hoffnungsblase eines mit der Natur versöhnbaren Natur-und-Arbeit-Raubbau-Systems auf der die Partei der Träumer reitet, geplatzt sein wird, wird sich der von AfD, Le Pen und anderen herausposaunte Irrationalismus endgültig Bahn brechen.

Diese Kräfte sind derzeit die einzigen, die sich als Kraft gegen »die da oben« in Szene setzen können. Erfolgreich sind sie unter anderem deshalb, weil die Linkspartei - die inzwischen von Ministern über einen Ministerpräsidenten und Staatssekretärinnen so ungefähr alles stellt, was dieses System an gut dotierten Posten zu vergeben hat - zu Recht mit diesem System identifiziert wird. Ihre Systemopposition ist so in den Augen der vom System Enttäuschten zu einer Sache saft- und kraftloser Sonntagsrituale geworden.

Eine linke Strategie, die dem nicht wie die jetzige parlaments- und kapitalismusoptimierungsfixierte hilflos gegenüberstünde, müsste sich folglich an die Spitze radikaler Systemkritik stellen statt – anstatt wie in einem unhistorischen Remake der damals noch möglichen Strategie der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts – an die Spitze der Systemrettung. Erst wenn die LINKE zum echten Feind der AfD wird, dieser letzten Sumpfblüte des Kapitalismus am Vorabend seiner finalen Krise, gibt es Hoffnung, den Rechtstrend zu stoppen. Vorher nicht.

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