nd-aktuell.de / 07.06.2019 / Berlin / Seite 11

Koalition gegen die Wohnungsnot

Transnationales Bündnis aus stadtpolitischen Aktivist*innen organisiert den Widerstand

Marie Frank

Auf der Wiese im Schatten vor dem Künstlerhaus Bethanien in Berlin-Kreuzberg sitzen am Donnerstagmorgen rund 30 Leute und frühstücken. Auf englisch, französisch, spanisch und anderen Sprachen wird angeregt über die Wohnungskrise diskutiert. Was wie ein ganz normales Picknick an einem heißen Sommertag aussieht, ist in Wirklichkeit der Auftakt des Treffens der »European Action Coalition for the Right to Housing and to the City« (auf deutsch: Europäisches Aktionsbündnis für das Recht auf Wohnen und die Stadt), das von Donnerstag bis Sonntag in der Hauptstadt stattfindet.

Kurze Zeit später sitzen die Aktivist*innen im Südflügel des ehemaligen Krankenhauses, dessen Abriss vor vielen Jahren durch Bürgerinitiativen verhindert wurde und das seither ein Ort für kulturelle, künstlerische und selbstorganisierte Initiativen ist. In den nächsten vier Tagen werden hier Workshops und Diskussionen zu einer transnationalen Perspektive auf die Wohnungskrise stattfinden. »Wir wollen uns gegenseitig stärken, Wissen austauschen und neue Ideen entwickeln«, erzählt die Portugiesin Rita Silva. So gebe es in allen europäischen Städten ähnliche Probleme auf dem Wohnungsmarkt: »Wir stecken da alle gemeinsam drin und es ist kein Ende in Sicht. Also müssen wir uns gemeinsam dagegen wehren!«

Das ist auch das Ziel der »European Action Coalition«. Gestartet 2013 in Athen, weitete sich der Zusammenschluss von stadtpolitischen Initiativen schnell auf ganz Europa aus. Mittlerweile sind es rund

30 Gruppen aus 20 verschiedenen Ländern, deren Aktivitäten von Betroffenenarbeit über die Organisierung von Blockaden bei Zwangsräumungen bis hin zu Besetzungen reichen. Auch bei der »Mietenwahnsinn-Demonstration« Anfang April war die Koalition mit Aktionen in verschiedenen europäischen Städten aktiv. Und als im Dezember letzten Jahres Aktivst*innen der von Verdrängung bedrohten Neuköllner Kiezkneipe Syndikat nach London reisten, um ihrem Vermieter einen Besuch abzustatten, war es die Koalition, die das Ganze organisierte.

Zweimal im Jahr treffen sich die Aktivist*innen, um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen. Das mittlerweile elfte Treffen in Berlin wird vom Bündnis »Zwangsräumung verhindern« und »Solidarische Aktion Neukölln« organisiert, die Teil der Koalition sind. »Es ist ein großartiges Netzwerk, das von unten organisiert ist«, erzählt Stefan Romvari von der »Solidarischen Aktion Neukölln«. Da die kapitalistischen Strukturen, die die Wohnungskrise zu verantworten hätten, an Ländergrenzen nicht Halt machen würden, müsse auch die Koalition, die sie bekämpfen will, transnational sein, erklärt er.

Rund ein Dutzend Vertreter*innen sitzen am Donnerstag um einen Tisch und stellen ihre Arbeit vor. Die Probleme, die sie schildern, klingen oft ähnlich: Menschen, die keine Bleibe finden, grundlos aus ihrer Wohnung geschmissen oder mit perfiden Mitteln vertrieben werden. Die Strategien dafür sind von Madrid über Belgrad bis Berlin die Gleichen: Vermieter*innen weigern sich, Mängel zu beseitigen oder stellen tagelang Strom und Wasser ab, bis die Bewohner*innen aufgeben. Auf die Politik setzten die Aktivist*innen dabei nur wenig Hoffnung: »Das Problem ist nicht nur der Markt, es geht auch darum, wie die Politik diese Entwicklung unterstützt«, meint Eniko Vinzce aus Rumänien.

Gemeinsam mit anderen Gruppen hat sie eine Broschüre zur Finanzialisierung von Wohnungsmärkten in Europa erstellt. Finanzialisierung meint dabei die gestiegene Bedeutung der Finanzwirtschaft im gegenwärtigen Kapitalismus, in dem sämtliche Bereiche des Lebens - auch die eigene Wohnung - zu Finanzinstrumenten werden. »Wir wollen damit ein Bewusstsein schaffen für den größeren Kontext«, sagt Vinzce. »Was ist in den letzten Jahrzehnten passiert, wer sind die Akteure? Es ist eine Art globale Erzählung, wie das Finanzkapital den Wohnungsmarkt gekapert hat.«

Die Koalition sieht Wohnen hingegen als Menschenrecht und fordert demgegenüber eine »Definanzialisierung des Wohnungsmarktes«: »Wohnen sollte nicht der Gewinnmaximierung dienen«, findet auch Rita Silva. Dementsprechend fordern sie und ihre Mitstreiter*innen, so viel Land und Wohnraum wie möglich aus dem privaten Sektor in die öffentliche Hand zu überführen - In Zeiten der Wohnungskrise scheint Kommunalisierung das Gebot der Stunde zu sein, nicht nur in Berlin.

Eng vernetzt sind die Aktivist*innen dementsprechend auch mit der Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«, mit denen sie sich am Freitag treffen wollen. Auch eine gemeinsame Aktion ist geplant. Doch auch wenn das Volksbegehren den meisten europäischen Aktivist*innen bekannt ist und auf viel Zuspruch stößt, gehen die Ziele der Koalition noch weiter: »Wir sind ein antikapitalistisches Bündnis, uns geht es nicht nur um Forderungen. Wir können schließlich nicht die Revolution einfordern«, sagt Rita Silva lachend. An ihrem Gesicht ist jedoch zu sehen, dass es ihr damit durchaus ernst ist.