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Görlitzer Wahl bewegt Hollywood

Entscheidendes OB-Duell zwischen AfD und CDU - LINKE »bereit für das Undenkbare«

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Rathauswahlen in sächsischen Städten jenseits von Dresden und Leipzig erregen meist nicht einmal im Freistaat nennenswertes Aufsehen. Die Wahl des neuen Oberbürgermeisters in der 56 000 Einwohner zählenden Grenzstadt Görlitz dagegen, die diesen Sonntag in die zweite und entscheidende Runde geht, bewegt internationale Medien zu Berichten und erregt selbst in Hollywood Aufmerksamkeit. Filmschaffende appellieren per offenem Brief an die Wähler: »Bitte wählt weise«, heißt es darin - und deutlich eindringlicher: »Gebt Euch nicht Hass und Feindseligkeit, Zwietracht und Ausgrenzung hin!«

Für den Brief gibt es zwei Gründe. Zum einen hat sich Görlitz in der internationalen Filmszene als Drehort einen Namen gemacht: »Görliwood« nennt sich die Stadt, in der für Streifen wie »The Grand Budapest Hotel« oder »Der Vorleser« gedreht wurde. Viele Schauspieler, Regisseure und Produzenten haben die Stadt an der Neiße, die in dem Brief als »Ausnahme-Schönheit« bezeichnet wird, ins Herz geschlossen.

So ist auch den Filmleuten nicht entgangen, dass in Görlitz eine Wahl ansteht, die überregional für Furore sorgen könnte: Die AfD könnte bundesweit erstmals einen OB-Posten erobern. Ihr Kandidat, der 36-jährige Bundespolizist Sebastian Wippel, gewann den ersten Wahlgang Ende Mai deutlich mit 36,4 Prozent. Auch bei der Stadtratswahl wurde die AfD mit 30,8 Prozent stärkste Kraft; im neuen Rat stellt sie 13 von 38 Mitgliedern. Dass der Kandidat der Rechtspopulisten auch im entscheidenden Wahlgang vorn liegen könnte, ist den Filmleuten ein Graus: Es würde »ein missverständliches Signal in die Welt hinaus« senden, sagt Michael Simon de Normier, Koproduzent von »Der Vorleser« und Initiator des Briefs. Ein OB von der AfD, so warnt er, könnte Filmemacher künftig abschrecken.

Verhindern könnte Wippels Wahlerfolg nur noch Octavian Ursu, ein 51 Jahre alter, in Rumänien gebürtiger und seit 1990 in Görlitz lebender Solo-Trompeter, der am örtlichen Theater engagiert war, bevor er für die CDU in den Landtag gewählt wurde. Der nunmehrige Kreischef der Partei kam in der ersten Runde auf 30,3 Prozent. Er lag damit nur knapp vor der 37-jährigen Grünen Franziska Schubert, die von den beiden kommunalen Initiativen »Bürger für Görlitz« und »Motor Görlitz« unterstützt wurde und mit beachtlichen 27,9 Prozent auf den dritten Platz kam. Die LINKE hatte mit der kommunalpolitisch unerfahrenen Kulturmanagerin Jana Lübeck eine eigene Kandidatin nominiert, die indes abgeschlagen bei 5,5 Prozent landete.

Das Vorgehen hatte für Verstimmung gesorgt, die durch den knappen Wahlausgang noch bestärkt wurde: Bereits die Hälfte von Lübecks Stimmen hätten Schubert zu Platz 2 verholfen, hieß es in deren Umfeld - was für Runde 2 eine klare Wahl eröffnet hätte: der Kandidat einer völkisch-nationalistischen Partei auf der einen und eine Repräsentantin des weltoffenen, kulturell aufgeschlossenen Teils der Stadtbevölkerung andererseits. Nachdem sich Schubert zum Rückzug entschlossen hatte, um den Sieg des AfD-Mannes zu verhindern, schimpfte ihr Fraktionskollege Gerd Lippold über »linke Spalterei« und klagte, es gehe in Görlitz nun nur noch um das »kleinere Übel« - nämlich die Wahl eines CDU-Mannes.

Bei der LINKEN wies man die Vorwürfe zurück. Mirko Schultze, regionaler Abgeordneter im Landtag, äußerte sich zum einen überzeugt, dass ein Teil der LINKE-Anhänger in Runde 1 ohnehin bereits für Schubert votiert habe. Zudem glaubt er, dass auch ein zweiter Platz für diese nicht in einem Zweierduell mit Wippel gemündet wäre: Ursu »hätte weitergemacht«, schrieb Schultze auf Twitter. Anderenfalls, vermutet er, wäre »ein bedeutender Teil« der CDU-Wähler wohl eher zu Wippel statt zu der Grünen-Kandidatin geschwenkt.

Das freilich ist ohnehin Theorie; bei der Abstimmung am Sonntag stehen nur Wippel und Ursu auf den Wahlzetteln. Schubert stellt sich hinter den CDU-Mann; man habe in mehreren Gesprächen »thematische Schnittmengen« ausgelotet, erklärte sie und fügte an, Konfrontation sei »nicht das, was sich die meisten Menschen wünschen«. Sie betonte, dass es bei den Gesprächen um die Entwicklung der Stadt und nicht um einen »persönlichen Kuhhandel« gegangen sei.

Und auch die LINKE stellt sich hinter Ursu. Zwar sei ein »freundschaftlicher Diskurs mit der Staatspartei CDU« bisher nicht in Frage gekommen. Am kommenden Sonntag gehe es aber »nicht um den Tagessieg, nicht um LINKE, Grüne oder CDU«. Ziel müsse es statt dessen sein, »das Wichtigste« zu schaffen: die Verhinderung eines Rathauschefs von der AfD, die man als »Teil einer neuen faschistoiden Bewegung in Europa« ansehe. Dafür sei man »bereit, auch das bisher Undenkbare zu tun« - nämlich als LINKE einem Politiker der CDU zur Macht im Rathaus einer sächsischen Stadt zu verhelfen.

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