»Unser Kreuz hat keine Haken«

Dortmunder wehren sich gegen lokale Neonazisszene

  • Bettina von Clausewitz
  • Lesedauer: 4 Min.

Dortmund. Dortmund gilt mit einer kleinen, aber überaus aktiven Neonazi-Szene als Zentrum des Rechtsextremismus in Westdeutschland. Dagegen regt sich schon lange ein breiter Widerstand in der Bevölkerung: Wegschauen und mit den Schultern zucken kommt für viele Bürger nicht infrage. Unter anderem wurde 2012 unter dem Motto »Unser Kreuz hat keine Haken« ein Arbeitskreis »Christen gegen Rechtsextremismus« gegründet. Er bietet beim evangelischen Kirchentag vom 19. bis 23. Juni in Dortmund einen Stadtrundgang zum Thema Rechtsextremismus an. Die Mitglieder wollen zeigen, wie sich die Menschen gegen die Neonazis wehren.

»Dortmund hat ein doppeltes Naziproblem«, erklärt der evangelische Pfarrer Friedrich Stiller am Platz der Alten Synagoge, der ersten von acht Stationen des Stadtrundgangs. Zum einen sei die Neonazi-Szene gewaltbereit und gut vernetzt, mit bundesweiter Ausstrahlung. Zum anderen behaupteten überregionale Medien, die Dortmunder hätten nicht genug dagegen getan. »Beidem wollen wir entgegentreten und nicht zulassen, dass Rechtsradikale den öffentlichen Raum für sich reklamieren«, betont Stiller, der das Referat für Gesellschaftliche Verantwortung im Kirchenkreis Dortmund leitet.

Subtile Bedrohung und rohe Gewalt, aber auch Gegenstrategien der mittlerweile gut organisierten Zivilgesellschaft werden bei dem knapp zweistündigen Rundgang durch die City der westfälischen Metropole thematisiert. So erinnert eine Station an den Tod eines Punkers, der 2005 im U-Bahnhof Kampstraße von einem 17-jährigen Neonazi erstochen wurde. Illustriert werden die Informationen durch großformatige Fotos im Klappordner, so dass die Vorstellung Anklänge einer modernen Moritat hat.

Anschaulich wird der Kampf um den öffentlichen Raum etwa im Stadtteil Dorstfeld, wo die rechte Szene eine ganze Straße zum Neonazi-Kietz erklärt hat, trotz Polizeipräsenz. Direkt dorthin führt der Rundgang nicht. Mitorganisatorin Sabine Fleiter berichtet von zwei jungen Leuten, deren Namen samt Facebook-Account und Fotos auf der Seite von Rechtsextremisten verlinkt wurden, nachdem sie nachts ein abgerissenes Neonazi-Plakat in Dorstfeld aufgehoben hatten. »Mit einem Mal standen sie wie Freiwild da und haben sich unsicher gefühlt«, erzählt Pädagogin Fleiter von der evangelischen Studierendengemeinde. Mittlerweile seien die beiden weggezogen.

Lautstarker Widerstand gegen rechts erhob sich vor gut zwei Jahren an der Reinoldikirche, die im Nationalsozialismus ein wichtiger Ort der Bekennenden Kirche war. Mitten im Weihnachtsmarktrummel besetzten Neonazis 2016 den Kirchturm, entrollten ein fremdenfeindliches Banner und verbreiteten über Megafon ihre Parolen. Die Pfarrerin läutete daraufhin geistesgegenwärtig die Glocken, während Passanten »Nazis raus« riefen.

»Das Läuten wurde bundesweit zum Symbol: Der alte Turm wehrt sich und die Kirche auch«, kommentiert Pfarrer Stiller. Es sei eine Strategie der Rechtsextremisten, zu provozieren: »Darin haben sie eine gewisse Kunst entwickelt, Aktionen zu machen, die an der strafrechtsrelevanten Grenze sind und bundesweit in den Medien sind.«

Ob und wie die Rechtsaußen-Szene auch beim Kirchentag aktiv wird, wenn mehr als 100.000 Menschen für fünf Tage in die Revierstadt kommen, kann niemand sagen. »Wir sind in Habachtstellung«, sagt Kirchentags-Vorstand Carsten Kranz. Man sei »vorgewarnt«, es gebe aber keinerlei konkrete Hinweise auf Störungen.

Nach Einschätzung des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes könnte insbesondere die Partei »Die Rechte« motiviert sein, »an ihrem Hauptsitz Dortmund provokativ in Erscheinung zu treten«. Ein Großereignis wie der Kirchentag biete die Möglichkeit, »maximale Medienresonanz bei minimalem strafrechtlichen Risiko zu erzielen«. Die Zahl der Anhänger vor Ort schätzt der Verfassungsschutz auf 80 bis 100 Leute.

Lesen Sie hier: Nazis, die keinen mehr aufregen - Die Partei »Die Rechte« verliert in Dortmund an Zulauf

Eindrücklich veranschaulicht der Stadtrundgang, der am Mahnmal für den 2006 von der NSU-Terrorgruppe erschossenen Kiosk-Besitzer Mehmet Kubasik endet, das langjährige Engagement der Zivilgesellschaft. »Es ist der rechten Szene nicht gelungen, sich auszuweiten«, sagt Stiller. Auch wenn sie wohl noch lange präsent sein werde. Eine Bedrohung für Kirchentagsbesucher sieht er nicht: »Wer nach Dortmund zum Kirchentag kommt, braucht keine Angst zu haben, es ist ein Mythos, dass es hier No-go-Areas gibt, das ist Unsinn.« epd/nd

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