Die Hassbücherei im Internet

Memetische Kämpfer: Eine Ausstellung über den »Alt-Right-Komplex« in Dortmund

  • Stefanie Roenneke
  • Lesedauer: 5 Min.

Ein Hai, der um einen Dollar herum schwimmt. Ein Sturm zieht auf. Ein Flugzeug stürzt ab. Menschen feiern dekadente Feste. Geld wird verbrannt. Häuser kollabieren. Die Uhr tickt. Das sind visuelle Metaphern, die der niederländische Künstler Jonas Staal in seiner Videoinstallation »Steve Bannon: A Propaganda Retrospective (visual ecology)« auf nebeneinander angeordneten Bildschirmen präsentiert. Als Quelle dient ihm das filmische Werk des Ultrarechten Steve Bannon, Ex-Chefredakteur von »Breitbart News« und Ex-Kampagnenmanager von Donald Trump.

Zwischen 2004 und 2018 produzierte Bannon dokumentarische Filmpamphlete, deren Perspektive, Ideologie und Erzählweise seit Trumps Wahlsieg 2016 auch mehr und mehr die Weltpolitik bestimmen. Unter Titeln wie »The Face of Evil« oder »The Chaos Experiment« zeichnet Bannon da das apokalyptische Bild einer Welt am Rande der Katastrophe, die von Wirtschaftskrise, säkularem Hedonismus und islamischem Fundamentalismus heimgesucht wird. Jonas Staal hat daraus eine »visuelle Enzyklopädie« herausgefiltert, die das »master narrative« der Filme sichtbar macht: Der Kampf der Zivilisationen - und der Ruf nach einer starken Macht.

Staals Installation ist in der Ausstellung »Der Alt-Right-Komplex« im Dortmunder HMKV (Hartware MedienKunstVerein) zu sehen - als eines von insgesamt zwölf Projekten zeitgenössischer Künstler*innen, die sich mit Facetten des Rechtspopulismus im Netz auseinandersetzen. Dabei werden sowohl Arbeiten berücksichtigt, die sich mit dem US-amerikanischen Kontext beschäftigen, wie auch solche, die europäische und speziell deutsche Phänomene untersuchen. »In Deutschland gibt es Phänomene, die viel von der Alt-Right gelernt haben«, merkt Inke Arns, Kuratorin der Ausstellung, an. »Im letzten Bundestagswahlkampf hat das rechtsextreme Netzwerk ›Reconquista Germanica‹ massive Netzaktivitäten unternommen, die analog zu den Strategien der Alt-Right gesehen werden können, wie das massive Posten von Hasskommentaren oder die Förderung bestimmter Hashtags«.

Die Ausstellung bedient sich dem durchaus problematischen Begriff »Alt-Right« (alternative Rechte), der auf den US-amerikanischen White-Supremacy-Aktivisten Richard Spencer zurückgeht und spätestens seit 2016 insbesondere in den USA ein Schlagwort für Ideologien am äußersten Rand der politischen Rechten geworden ist - auch wenn diese Rechte mit dem Begriff Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus verschleiern möchte.

Laut Angela Nagle, die 2017 mit »Kill All Normies« (dt: »Die digitale Gegenrevolution«) eine erste kulturelle Genealogie der digitalen Rechten geschrieben hat, befasst sich die Alt-Right mit »dem Intelligenzquotienten, europäischer Demografie, dem Verfall der Kultur, ›Kultur-Marxismus‹, Anti-Egalitarismus und Islamisierung. Am wichtigsten ist ihr jedoch, wie der Name schon sagt, eine Alternative zum konservativen rechten Establishment zu schaffen.«

Darüber hinaus steht Alt-Right für eine Strategie: Denn die Verbreitung der extrem rechten Weltsicht findet vornehmlich im Internet statt, mittels Netzwerk-Aktivismus, Nachrichtenwebsites, Hashtags und Memes - der kreativen Aneignung und Umformung popkultureller Phänomene im Netz. Bereits 2017 schrieb Matt Goerzen in »Texte zur Kunst«, dass solche Strategien an »Werkzeuge früherer Generationen linker kultureller Kämpfer« erinnern, bzw. auf ihnen beruhen. Goerzen sprach von einer »memetischen Rechten«, die sich an den künstlerischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts orientiere, »als memetische Kämpfer par excellence, die mediale Meisterleistungen vollbrachten, indem sie Aufmerksamkeitsstrategien und Kritik einsetzten, um den Status quo ihrer Zeit zu unterbrechen und umzulenken.«

In der Dortmunder Ausstellung kommt die rechte »memetische Maschinerie« besonders deutlich durch die spekulative Kartografie des Künstler*innenduos Disnovation.org zum Ausdruck. Auf einer Landkarte werden eine Vielzahl unterschiedlicher Memes politisch verortet. Es gibt auch welche, die vom US-Militär als zeitgenössische Kriegswaffen betrachtet werden.

Abseits davon widmet sich Nick Thurston mit »Hate Library« der Sprache im Netz. Dafür platziert er auf zwölf blau gestrichenen Notenständern Bücher, die für Positionen extrem rechter Communities in Europa stehen. Umgeben sind diese Notenständer, die zu einer chorischen Lesung animieren könnten, von Postern, auf denen ein Dickicht von Threads - chronologisierten Beiträgen in Internetforen - abgebildet ist. Es ist ein sehr stiller Raum, in dem nur das Blättern der Seiten zu hören ist - das steht im deutlichen Kontrast zu der neuen Gewalttätigkeit von Sprache, die auf diesen Seiten zum Ausdruck kommt und die sich in kürzester Zeit in den allgemeinen Sprachgebrauch gefressen hat, sei es durch Begriffe wie »fake news«, »alternative facts« oder »Volksverräter« (»Unwort des Jahres 2016«).

Aufgrund dieser Anfälligkeit ist für Inke Arns eine Medien- und Memekompetenz wichtiger denn je: »Menschen müssen verstehen, was sie umgibt und wie diese (technologischen) Systeme funktionieren«. Dafür agieren viele Arbeiten im Spannungsfeld dokumentarischer und künstlerischer Aneignung und fangen flüchtige Netzkulturen ein, deren Memes Politik und Gesellschaft wie »Gehirnparasiten« (Richard Dawkins) nachhaltig beeinflussen. Diese Wirkung der organisatorisch schwer zu fassenden Alt-Right wird durch ein Glossar deutlich, das auch Teil der Ausstellungsarchitektur ist und die wichtigsten Begriffe kurz erläutert.

Sind die Motivationen und Ansichten hinter den Memes und in dem »Labyrinth aus Ironie und Insiderwitzen«, wie Angela Nagle schreibt, zwar kaum auszumachen, sind es aber gerade ihre dramatischen Folgen, die die Künstler*innen aufgreifen, beispielhaft sichtbar mit dem Comic »Bruchlinien«, an zentraler Stelle positioniert. Mit dieser Arbeit thematisieren Paula Bulling und Anne König weibliche Figuren im NSU-Kontext - wie Susann Eminger, engste Freundin von Beate Zschäpe oder Frau N., Verwaltungsbeamte im Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz. Sie haben auch mit Gamze Kubaşık, der Tochter des vom NSU ermordeten Dortmunders Mehmet Kubaşık, gesprochen. Ein Raum weiter lässt Milo Rau die deutsch-türkische Schauspielerin Sascha Ö. »Breiviks Erklärung« vorlesen - nüchtern, Kaugummi kauend, in Trainingsjacke. Eine entdramatisierte Vortragsweise, die den rassistischen Text des norwegischen Massenmörders, dessen Inhalt sich nah an etablierten rechtsnationalen Debatten bewegt, auf erschreckende Weise offenlegt.

Mit diesen und weiteren Arbeiten zur Prepper-Szene oder den Neuen Religiösen zeigt »Der Alt-Right-Komplex« deutlich, wie eng zeitgenössische Kunst mit der politischen Gegenwart verknüpft ist. Die Sensibilität der Künstler*innen scheint dabei den der Politiker*innen weit voraus zu sein, was im Kontext der Rezo-Debatte und der Einschätzung von YouTube vor und nach der Europawahl erneut deutlich wurde. Denn wenn ein populäres Medium, das seit 2005 existiert, für viele noch Neuland ist, wie steht es dann erst um das Wissen bezüglich der Strategien jener rechten Online-Gegenkulturen und deren Wirkung?

»Der Alt-Right-Komplex - Über Rechtspopulismus im Netz«, Hartware MedienKunstVerein im Dortmunder U, bis zum 22.9.

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