Fliegen ist schöner

Abheben in Hessen: Die Wasserkuppe ist mit 950 Metern die höchste Erhebung des Bundeslandes und der perfekte Startplatz für Himmelsstürmer.

  • Rasso Knoller
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Wasserkuppe: höchster Berg der Rhön, Quellort der Fulda und Wiege der deutschen Segelfliegerei. Für mich ist dieser Gipfel heute der Startpunkt zu einem Tag in der Luft. Innerhalb von nur drei Stunden hebe ich mit dem Segelflugzeug ab, starte mit dem Motorflieger und schwebe mit dem Gleitschirm durch die Lüfte. Immer mit einem erfahrenen Piloten an meiner Seite.

Im Notfall hilf dir selbst!

Dieter Syfuss hilft mir in die Maschine und gibt mir Tipps, wie ich meine Beine am besten verstaue. Für Flugneulinge wie mich ist schon der Einstieg in ein Segelflugzeug ein Problem. Es dauert, bis ich meine Einmeterfünfundachtzig in dem engen Cockpit untergebracht habe. Dann hilft mir Syfuss beim Anschnallen, zeigt mir, wie ich den Sicherheitsgurt öffnen kann und gibt mir folgende, nicht gerade beruhigende Information auf den Weg: »Wenn ich sage, du musst raus, dann musst du dir selbst helfen.« Wie genau ich aus der fliegenden Büchse im Notfall herauskommen würde, verrät mir Syfuss nicht. Immerhin erklärt er noch: »Erst wenn du draußen bist, ziehst du hier.« Mit »hier« ist die Reißleine gemeint, die meinen Fallschirm auslösen soll. Eingekeilt in meinem Minisitz hinter dem Piloten, mache ich mir über den Notfall und eventuelle Ausstiegsszenarien lieber keine Gedanken.

Ich verlasse mich auf Syfuss und seine Versicherung, er habe noch nie eine kritische Situation an Bord eines Segelfliegers erlebt, und er gedenke nicht, das heute zu ändern. Syfuss ist 75 Jahre alt, sitzt seit 60 Jahren am Steuerknüppel von Segelflugzeugen und war früher Pilot bei der Lufthansa. Einen erfahreneren Begleiter kann man sich für seinen ersten Segelflug nicht wünschen.

Fahrrad fahren in der Luft

»Wir werden Aufwinde suchen müssen«, sagt Syfuss, »wenn wir die dann gefunden haben, geht es in engen Kreisen nach oben.« Das sei nichts für schwache Mägen, warnt mich der Flugveteran und weist mich gleich mehrmals auf die Spucktüte hin, die in der Rückenlehne des Pilotensitzes steckt. Als Syfuss dann noch anbietet, beim leichtesten Anzeichen von Übelkeit zum Startplatz zurückzukehren, bekomme ich schon vor dem Start ein flaues Gefühl. Ein Motorflugzeug zieht uns vom Startplatz an der langen Leine nach oben, wir heben ab und nach ein paar Minuten klinkt uns der Motorflieger aus. Die Suche nach den Aufwinden beginnt. Trotz des anschließenden eifrigen Kreisens verhält sich mein Magen ruhig. Syfuss lobt mich.

Vermutlich bin ich einfach zu abgelenkt, denn die Aussicht über die Rhön ist grandios. Segelfliegen fühlt sich ein bisschen an wie Fahrrad fahren in der Luft - man kommt auf eine ordentliche Geschwindigkeit, ist aber doch langsam genug, um die Details zu sehen. Die Kühe unter uns auf der Wiese, die Autos, die wie in einer Spielzeugwelt dahinfahren und die anderen Segelflieger, die immer wieder unseren Weg kreuzen. Ab und zu saust auch ein Motorflugzeug vorbei.

Ein unterbrochener Pfeifton zeigt warme, nach oben steigende Luftströmungen an und die braucht das Flugzeug, um sich in der Luft halten zu können. Syfuss ist bald nicht nur Pilot, sondern auch Reiseführer, nennt die Namen der Dörfer und Städte, die wir überfliegen, und der Berge, an denen wir vorbeisegeln. Vom Pferdekopf erzählt er und vom Schafstein - offenbar gibt man hier Bergen mit Vorliebe Tiernamen. Syfuss berichtet auch davon, dass die Wasserkuppe die Wiege des Segelflugs sei und mutige Piloten hier schon Anfang der 1920er Jahre die ersten Flugversuche unternommen hätten. Auch die erste Segelflugschule der Welt wurde hier gegründet. Aus gutem Grund also liegt auf der Wasserkuppe das Deutsche Segelflugmuseum.

Erst mit Motor, dann mit Tuch

Nach einer halben Stunde bringt mich Syfuss auf den Boden zurück, dort aber wartet schon der nächste Pilot auf mich. Zusammen mit zwei weiteren Passagieren steige ich in ein einmotoriges Flugzeug. Der junge Mann, der uns zu einem Rundflug entlang der ehemaligen Grenze BRD/DDR mitnimmt, ist Mitte 20 und hofft auf die Karriere, die Dieter Syfuss schon hinter sich hat. Er will bald hinter dem Steuerknüppel eines großen Düsenjets sitzen. Bis es soweit ist, hebt er mehrmals täglich von der Wasserkuppe zu Rundflügen ab.

Die Ausblicke aus dem Cockpit der kleinen Maschine sind ebenso faszinierend wie aus Syfuss’ Segler, etwas weniger abenteuerlich ist der Ausflug aber schon. Einen Vorteil bieten die Motorflugzeuge auf jeden Fall: Während man mit dem Segelflugzeug nur bei passenden Winden aufsteigen kann, sind Rundflüge mit ihnen fast bei jeder Witterung möglich.

Eine halbe Stunde später, nach der Landung, laufe ich auf die andere Seite des flachen Gipfels. Mein nächster Flug wartet schon - diesmal mit dem Schirm. Am Startplatz haben zwei Dutzend Gleitschirmpiloten ihre bunten Geräte ausgelegt und bereiten sich auf den Flug vor. Dort nimmt mich Paul Seren in Empfang. Er ist Fluglehrer bei Papillon Paragliding, Deutschlands größter Gleitschirmschule. Und dann geht alles viel schneller als gedacht. Nach kurzer Vorstellung, wir sind gleich beim Du, ein paar aufmunternden Worten und einem prüfenden Blick auf mein Schuhwerk - die knöchelhohen Bergstiefel, die ich trage, finden seine Zustimmung - legt mir Paul das Gurtzeug an: eine Art Babysitz, in dem ich während des Fluges sitzen werde.

Irgendwie hatte ich mehr Vorbereitung erwartet und frage Paul, ob ich nicht noch etwas wissen müsse. »Eigentlich nicht viel«, lacht er und erklärt, dass ich beim Start einfach mit voller Geschwindigkeit den Hang hinunter rennen müsse, solange bis ich den Bodenkontakt verlöre. »Und dann lehnst du dich zurück und genießt. Den Rest mach ich.« Schließlich drückt mir Paul einen Sturzhelm in die Hand, setzt sich hinter mir ins Gurtzeug, und prüft nochmals die Leinen. Dann stellt er den Schirm, der bisher ausgebreitet am Boden gelegen hat, in den Wind. Als das grüne Tuch über uns schwebt, gibt Paul das Startkommando. »Lauf, lauf, lauf, lauf«, feuert er mich an … und plötzlich ist der Boden weg. Mein Herz schlägt schneller. Vor Aufregung und Freude. Ich fliege. Ich fliege.

Tipps

Papillon Paragliding: Ein Tandemflug dauert je nach Wetterbedingungen zwischen 5 und 30 Minuten und kostet 100 €. Wasserkuppe 46, 36129 Gersfeld, Tel. 06654/75 48, www.papillon.de

Ein Mitflug mit Motor- und Segelflugzeugen lässt sich über die Fliegerschule Wasserkuppe organisieren. 20 Minuten mit dem Motorflieger kosten 60 €, für eine halbe Stunde im Segelflugzeug zahlt man 80 €. www.fliegerschule-wasserkuppe.de/mitfliegen.html

Das Segelflugmuseum hat von April bis Oktober täglich von 9-17 Uhr geöffnet, ansonsten von 10-16.30 Uhr, der Eintritt kostet fünf Euro. www.segelflugmuseum.de

Die Recherche wurde unterstützt von Hessen Tourismus.

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