»Wir werden weitermachen«

Zwei Ärztinnen wegen Informationen über Schwangerschaftsabbrüche in Berlin verurteilt

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Auf einer Mauer vor dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin sitzt eine ältere Frau mit einem Jutebeutel, auf dem »Courage« steht. In der Hand hält sie ein Schild mit der Aufschrift »Frauenpower«. Der Protest gegen den Paragrafen 219a bringt am Freitagvormittag mehrere Generationen zusammen - Frauen wie Männer. Anlass ist der Prozess gegen die Steglitzer Gynäkologinnen Bettina Gaber und Verena Weyer. Was die Demonstrierenden noch nicht wissen: Knapp drei Stunden später werden die beiden zu Geldstrafen von 2000 Euro verurteilt. Der Grund: Auf der Internetseite ihrer Gemeinschaftspraxis stand, dass der »medikamentöse Schwangerschaftsabbruch in geschützter Atmosphäre« zu ihren Leistungen gehöre.

Das Urteil ist das erste nach einer Reform des Paragrafen 219a, auf die sich die große Koalition geeinigt hatte: Nun dürfen Ärzte und Ärztinnen zwar über die Tatsache informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen - aber beispielsweise nicht, mit welcher Methode.

Zu dem Protest hatten unter anderem pro familia und das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung aufgerufen. Jede ungewollt schwangere Frau brauche Zugang zu niedrigschwelligen, verständlichen und zutreffenden Informationen, betont Karin Bergdoll, Mitglied des Arbeitskreises Frauengesundheit. Tina Wilson von Ärztinnen pro Choice unterstreicht, dass Frauen die Entscheidung für einen Abbruch nicht leichtfertig treffen, weil ein buntes Poster dafür werbe. Im Gegensatz zu anderen Regionen gebe es in Berlin noch relativ viele Ärztinnen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Doch die Verunsicherung steige, sagt Wilson. »Der neue 219a schafft keine Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte - und erst recht keine Informationsfreiheit für Frauen«, erklärt auch Cornelia Möhring, frauenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag.

Nur ein Teil der Demonstrierenden findet in dem Gerichtssaal einen Platz. Die Staatsanwältin argumentiert mit dem Schutz des ungeborenen Lebens. Für beide Frauenärztinnen fordert sie Strafen von 50 Tagessätzen à 150 Euro. Auch nach der Reform von § 219a sei der zusätzliche Hinweis auf die Methode und die »geschützte Atmosphäre« strafbar.

Für ein mögliches Werbeverbot spielt eine Rolle, ob ein »Vermögensvorteil« erreicht werden soll. Davon könne bei einem normalen kassenärztlichen Honorar nicht ausgegangen werden, argumentiert der Verteidiger von Gaber. Schwangerschaftsabbrüche seien ein menschlich, wirtschaftlich und organisatorisch belastender Teil der ärztlichen Arbeit. Er unterstreicht, dass es sich bei dem Hinweis um eine sachliche Information handele - nicht um Werbung. Die Anwälte argumentieren mit der Berufsfreiheit gemäß Artikel 12 und dem Grundrechte auf Meinungsäußerung.

Ärzte und Ärztinnen dürfen nicht selbst über die Methoden informieren, aber auf Listen von Behörden, Beratungsstellen oder Ärztekammern verweisen. Wie Gabers Anwalt betont, existierten diese Informationen der Ärztekammer jedoch bisher nicht. Er bezeichnet die Anklage als »Frechheit« sowie »blanker Unsinn« und spricht von einem »irren Gesetz«. Der Staatsanwaltschaft unterstellt er »Feigheit vor den Lebensschützern«, die die Ärztinnen angezeigt haben. Harsche Kritik erntet auch Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne), der diesen Prozess zulässt, während sich seine Partei auf Bundesebene gegen den Paragrafen ausspricht.

Die Richterin verweist auf die Unabhängigkeit der Justiz von der Politik. Der Sachverhalt sei einfach, sagt sie. Ein Vermögensvorteil sei durch das ärztliche Honorar gegeben. Weil es sich um eine Gemeinschaftspraxis handelt, wird auch Verena Weyer zu 20 Tagessätze à 100 Euro verurteilt, obwohl sie keine Schwangerschaftsabbrüche durchführt.

Den Vorwurf, zum eigenen Vermögensvorteil zu handeln, empfinde sie als diskreditierend, sagt Gaber nach dem Prozess. Ihre Kollegin Weyer bezeichnet sich als »Kollateralschaden«, aber betont: »Wir haben uns entschieden, das zusammen durchzustehen.« Das gilt nicht nur für den Prozess. So berichtet Bettina von Drohungen selbsternannter Lebensschützer: »Es gibt sicherlich genug Kolleginnen und Kollegen, die sich dem nicht aussetzen wollen.« Die beiden Gynäkologinnen kündigen an, Rechtsmittel einzulegen. »Wir werden weitermachen, sonst hätte das alles keinen Sinn gemacht«, sagt Gaber.

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