Kommt der Wandel in Algerien?

Justiz ermittelt wegen Korruption - Zivilgesellschaft fordert einjährige Übergangsphase

  • Claudia Altmann, Algier
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Gefängnis im Algierer Stadtteil El Harrasch war bisher eher ein Ort für die Namenlosen der algerischen Gesellschaft. Derzeit jedoch vergeht kaum ein Tag, an dem das große Tor nicht hinter einem Prominenten ins Schloss fällt. Den Anfang machten mehrere Oligarchen, gefolgt von Ex-Ministern und einstigen politischen Verantwortlichen. Mit Abdelmalek Sellal und Ahmed Ouyahia sitzen auch zwei ehemalige Premierminister seit vergangener Woche in Untersuchungshaft. Gegen sie laufen Ermittlungsverfahren wegen Korruption, Verschwendung öffentlicher Mittel, Amtsmissbrauchs und Gewährung unberechtigter Privilegien.

Im Visier der Ermittlungsbehörden sind auch ein ehemaliger Industrieminister, dessen Name im Zusammenhang mit den Panama-Papers steht, sowie der ehemalige Energieminister Chakib Khelil, der in mehrere Skandale um die staatliche Erdöl- und Erdgasfirma Sonatrach verwickelt sein soll. Beide sollen sich derzeit im Ausland aufhalten.

Algeriens Justiz kommt damit einer der Forderungen der seit fast vier Monaten jede Woche protestierenden Bevölkerung nach, diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die sich in den zwanzig Jahren Bouteflika-Herrschaft an den Gesetzen vorbei bereichert haben.

»Es ist eine Genugtuung für uns. Diese Leute sind dort, wo sie hingehören,« sagt eine Demonstrantin bei den jüngsten Massenprotesten in Algier am vergangenen Freitag. »Es reicht aber nicht, wenn unter dem Deckmantel der Korruptionsbekämpfung nur offene Rechnungen beglichen werden. Wir verlangen viel mehr. Das ganze System soll das Feld räumen. Davon lassen wir uns nicht abbringen«, stellt die Mittvierzigerin klar und reiht sich in den bunten Demonstrationszug ein, der skandiert: »Dieses Volk will keine neue Militärherrschaft!«.

Diese Botschaft richtet sich an Armeechef Ahmed Gaid Salah, den derzeit starken Mann Algeriens. Er besteht nach wie vor darauf, mit der jetzigen Regierung unter dem von der Bevölkerung abgelehnten Premierminister Noureddine Bedoui Präsidentschaftswahlen abzuhalten. Als ehemaliger Innenminister wird dieser jedoch für Wahlfälschungen in der Amtszeit des unter dem Druck der Straße zum Rücktritt gezwungenen Ex-Staatschef Abdelaziz Bouteflika verantwortlich gemacht.

Eine Schlappe musste der oberste General einstecken, als der ursprünglich auf den 4. Juli angesetzte Termin mangels Kandidaten vom Verfassungsrat abgesagt wurde. Stattdessen tragen die Debatten in der Zivilgesellschaft darüber, wie eine Übergangsperiode aussehen könnte, erste Früchte. Am vergangenen Wochenende wurden die Vorstellungen auf einer ersten gemeinsamen Konferenz in Algier der Öffentlichkeit unterbreitet. Sie sind das Ergebnis mehrmonatiger Konsultationen zu politischen, sozialen, ökonomischen und gesellschaftlichen Forderungen, unter anderem von Menschenrechtsgruppen, unabhängigen Gewerkschaften, und Arbeitslosenvereinigungen.

Gemeinsames Ziel sei eine »neue soziale und pluralistische Republik, die auf Rechtsstaatlichkeit gegründet und weltoffen ist« heißt es in dem Positionspapier. Danach soll ein aus einer oder mehreren Personen bestehendes präsidiales Gremium eine Übergangsphase leiten, die bis zu einem Jahr dauert. Eine »Regierung der nationalen Kompetenz« soll die laufenden Aufgaben des Staates in die Hand nehmen.

Der demokratische Übergang soll durch Wahlen erfolgen, »die dem diktatorischen und korrupten System ein Ende setzen und die Schaffung legitimer und glaubwürdiger Institutionen garantieren sollen«. Diese Wahlen sollen von einer unabhängigen Kommission organisiert, durchgeführt und überwacht werden. Zugleich sieht die Initiative vor, einen nationalen Dialog aller politischen Akteure, Vertretern der Zivilgesellschaft und Aktivisten der gegenwärtigen Volkserhebung einzuleiten, der in eine nationale Konferenz münden soll.

Bereits im Vorfeld hatten die Initiatoren die Freilassung der vor und seit Ausbruch der Massenproteste inhaftierten Regimegegner sowie ein Ende der Repressionen während der Demonstrationen gefordert. Auch am vergangenen Freitag hatte die Polizei erneut mehrere Demonstrierende festgenommen, öffentliche Plätze gesperrt und Zugangsstraßen zur Hauptstadt blockiert. Ungeachtet dessen werden für diese Woche weitere landesweite Proteste, darunter von Studierenden und Hochschullehrern erwartet.

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